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Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)

Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Die Jahre der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Z. A. Recht
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Dann hob er äußerst langsam die polierte Seite des Bajonetts über den niedrigen Mauerrand und drehte es zwischen den Fingern. Das Mondlicht reichte aus, um das Innere des Waschsalons zu erleuchten.
    Es sah aus, als hätte jemand versucht, Widerstand zu leisten. Sämtliche Maschinen waren ausgestöpselt und in die Mitte des Raumes geschoben worden, wo sie eine Art Behelfsfort bildeten. Es hatte nicht genügt. Selbst in der Dunkelheit sah Stiles das inzwischen getrocknete Blut, das an den weiß lackierten Waschmaschinen und Wäschetrocknern herabgelaufen war. Es wäre eine interessante forensische Studie gewesen, doch wurde seine Aufmerksamkeit nun auf zwei Beine gerichtet, die kaum zwei Meter von seinem Bajonett entfernt sichtbar wurden.
    Da stand eindeutig ein Überträger herum. Zum Glück war es nur ein einziger. An der Art, wie er den Kopf bewegte– fast neugierig, als begutachtete er seine Umgebung–, konnte Stiles erkennen, dass es sich um einen Sprinter handelte, nicht um einen Watschler.
    Es konnte sich zu seinem Vorteil erweisen.
    Stiles hatte genügend Überträger gesehen, um zu wissen, wie sie funktionierten. Ihre Grundtaktik, ihre Physiologie– Soldaten machten sich immer geistige Notizen über die Fähigkeiten ihrer Gegenspieler. Es half ihnen, am Leben zu bleiben. In diesem Fall wusste Stiles, dass Sprinter noch lebten. Also konnte man sie töten.
    Watschler waren schon tot. Das wusste er, seit er einen Überträger mit einem Haufen Einschusslöchern im Brustkorb hatte die Augen öffnen und sich aufrappeln sehen. Die einzige Möglichkeit, diese Dinger zu töten, war ein Kopfschuss. Oder man köpfte sie irgendwie. Sprinter jedoch…Tja, Sprinter konnte man ebenso töten wie jeden anderen lebendigen Gegner. Es dauerte halt eine Weile, bis sie wieder aufstanden.
    Der Überträger im Waschsalon war der frühere Inhaber. Er trug noch immer ein blutiges Namensschild mit der Aufschrift DON , unter dem in sauber gedruckter Kursivschrift der Werbespruch seines Unternehmens stand. Falls noch ein Fetzen von Bewusstsein in Dons Hirn vorhanden war, zeigte es sich wohl jetzt nur noch darin, dass er ziellos durch das Viertel latschte, in dem sein Geschäft sich befand.
    Hätte Don zur Straße hinausgeschaut, hätte er Mark Stiles vielleicht vor dem eingeschlagenen Schaufenster aufstehen und leise auf das im Laden befindliche Linoleum treten sehen. Wäre Don nicht von dem leise im Luftloch über ihm rotierenden Ventilator abgelenkt gewesen, hätte er Stiles’ Reflektion in den Glasscherben am Boden gesehen, denn der Soldat pirschte sich, das Bajonett im Vorhalt, von hinten an ihn heran. Doch Don bemerkte von alldem nichts. Der erste Hinweis darauf, dass er nicht allein war, zeigte sich ihm in dem Moment, in dem Stiles’ Hand sich von hinten auf seine Stirn legte und seinen Schädel festhielt, während die andere Hand die rasiermesserscharfe Klinge über seine Kehle zog.
    Don gurgelte. Er wollte einen wütenden Schrei ausstoßen und angreifen, doch außer dem Geräusch, das blutige Blasen erzeugen, kam kein Ton aus ihm heraus. Er wollte herumwirbeln und den Angreifer beißen, doch Stiles hielt ihn fest. Dons Blut tropfte auf den Boden. Langsam erschlaffte er. Er schloss die Augen. Sein Körper, von Stiles gehalten, sackte zusammen.
    Stiles ließ Don lautlos zu Boden sinken, wischte das Bajonett am Hemd des Mannes ab und schob es in die Scheide zurück, wobei er sorgfältig darauf achtete, nicht mit Blut in Berührung zu kommen. Dann schüttelte er sich und atmete aus. Er hatte sich beim Anpirschen kaum zu atmen getraut und sich verzweifelt bemüht, so wenig Geräusche wie möglich zu machen.
    Komisch, dachte Stiles, als er sich den Toten ansah. Er empfand überhaupt kein Bedauern oder dergleichen. Der objektive Teil seines Bewusstseins sagte ihm, dass er gerade einen lebenden und atmenden Menschen getötet hatte. Der subjektive Teil sagte ihm, dass dieser Mann nichts anderes gewesen war als der Feind. Wie auch immer, er spürte, dass die Leiche zu seinen Füßen verwildert und animalisch war, nicht menschlich. Er wusste nicht, ob der Mangel an Emotion eine gute oder schlechte Sache war.
    Nun, da die Bedrohung nicht mehr vorhanden war, kehrte Stiles auf die Straße zurück, wobei er sorgfältig darauf achtete, nicht auf Glasscherben zu treten. Das Gebäude nebenan war sein Ziel– der Sportartikelladen.
    Als er das Gebäude erreichte, wiederholte er seine Übung. Das Haus hatte einen eingesenkten Eingang und vier

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