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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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starrt darauf, ohne einen Finger zu rühren.
     
    (Unterbrechung)
     
    Heute nachmittag brachte ich Agnes zu Pater Roche. Ihr Knie ist noch schlimmer geworden. Sie konnte nicht mehr gehen, und über dem Knie war eine Rötung, die wie der Anfang eines roten Streifens aussah. Ich konnte es nicht mit Gewißheit sagen – das ganze Knie ist rot und geschwollen –, aber ich wagte nicht länger zu warten.
    Um 1320 gab es keine Heilung bei Blutvergiftung, und es ist meine Schuld, daß ihr Knie infiziert ist. Hätte ich nicht darauf bestanden, den Absetzort zu suchen, wäre sie nicht gefallen. Ich weiß, daß die Paradoxien nicht zulassen, daß meine Anwesenheit hier irgendeine Auswirkung darauf hat, was den Zeitgenossen widerfährt, aber ich konnte dieses Risiko nicht tragen. Schließlich hätte auch ich nicht krank werden dürfen.
    Als Imeyne sich zum Beten zurückzog, trug ich Agnes hinüber zur Kirche, um ihn zu bitten, daß er sie behandle. Unterwegs fing es an zu gießen, aber Agnes jammerte nicht, daß sie naß wurde, und das ängstigte mich mehr als der rote Streifen.
    In der Kirche war es dunkel und roch nach Moder. Ich hörte Pater Roches Stimme aus dem vorderen Teil des Kirchenschiffes, und es hörte sich an, als spräche er mit jemand. »Herr Guillaume ist noch immer nicht aus Bath eingetroffen. Ich fürchte für seine Sicherheit«, sagte er.
    Ich dachte, vielleicht sei Gawyn zurückgekehrt, und wollte hören, was sie über das Gerichtsverfahren sagten, also ging ich nicht näher, sondern blieb mit Agnes auf dem Arm beim Eingang stehen und lauschte.
    »Seit zwei Tagen hat es geregnet«, sagte Roche, »und es weht ein scharfer Wind von Westen. Wir mußten die Schafe von den Feldern hereinbringen.«
    Nachdem ich eine Weile angestrengt in das düstere Kirchenschiff gespäht hatte, sah ich ihn endlich. Er kniete vor dem Lettner und hatte die großen Hände im Gebet gefaltet.
    »Der Säugling des Verwalters hat eine Kolik und kann seine Milch nicht bei sich behalten. Dem Häusler Tabort geht es schlecht.«
    Er betete nicht auf lateinisch, und in seiner Stimme war nichts vom salbungsvollen Ton des Priesters der Heiligen Reformierten Kirche oder vom Singsang des Vikars. Es klang geschäftsmäßig und nüchtern, wie ich diese Worte spreche.
    Für die Zeitgenossen um 1300 war Gott sehr real und gegenwärtig, lebendiger als die natürliche Welt, in der sie lebten. Als ich im Sterben lag, tröstete Pater Roche mich, daß ich ja nur wieder heimkehren würde, und bei uns ist die Meinung verbreitet, daß die Menschen des Mittelalters in dem Glauben gelebt hätten, das diesseitige Leben sei illusorisch und unbedeutend, allenfalls eine von Gott auferlegte Prüfung, und das wahre Leben sei jenes der ewigen Seele, aber ich habe nicht viele Beweise dieser Einstellung gefunden. Eliwys murmelt pflichtbewußt ihre Gebete am Morgen, vor den Mahlzeiten und zum Vesperläuten, aber dann steht sie auf und klopft den Staub von ihren Röcken, als hätten ihre Gebete nichts mit den Sorgen um ihren Mann oder die Mädchen oder Gawyn zu schaffen. Und Imeyne ist trotz Reliquiar und Stundenbuch nur um ihr gesellschaftliches Ansehen besorgt. Bis ich in der feuchtkalten Kirche stand und Pater Roche lauschte, hatte ich keinen Hinweis darauf gefunden, daß Gott ihnen in irgendeiner Weise real und gegenwärtig wäre.
    Ich frage mich, ob er Gott und den Himmel in seiner Vorstellung so klar vor Augen hat wie ich Sie und Oxford, den Hof im Regen und Ihre beschlagene Brille, die Sie abnehmen müssen, um sie am Schal zu putzen. Ob sie ihm so nahe und zugleich so unerreichbar scheinen wie mir die Welt, aus der ich komme.
    »Bewahre unsere Seelen vor dem Übel und geleite uns sicher in den Himmel«, sagte Roche, und als ob es ein Stichwort gewesen wäre, richtete Agnes sich in meinen Armen auf und sagte: »Ich will zu Pater Roche.«
    Er stand auf und kam auf uns zu. »Was gibt es? Wer ist dort?«
    »Katherine«, sagte ich. »Ich habe Agnes gebracht. Ihr Knie ist…« Was? Infiziert? »Ich möchte Euch bitten, ihr Knie anzuschauen.«
    Er versuchte es zu tun, aber in der Kirche war es zu dunkel, also trug er sie hinüber zu seinem Haus. Dort war es kaum heller. Sein Haus ist nicht viel größer als die Hütte, in der ich Unterschlupf suchte, und gleicht auch in seiner Ärmlichkeit den Behausungen der übrigen Dorfbewohner. Als wir drinnen waren, mußte er die ganze Zeit gebückt stehen, um nicht mit dem Kopf gegen die Dachsparren zu stoßen.
    Er öffnete den

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