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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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Laden am einzigen Fenster, das die Regenluft hereinblasen ließ, entzündete ein Binsenlicht und setzte Agnes auf den grob gezimmerten Tisch. Er wickelte den Verband ab, und sie zuckte vor ihm zurück.
    »Sitz schön still, Agnes«, sagte er, »und ich werde dir erzählen, wie Christus vom fernen Himmel auf die Erde kam.«
    »Am Weihnachtstag«, sagte Agnes.
    Roche befühlte die Umgebung der Wunde, drückte vorsichtig auf die geschwollenen Stellen und erzählte dabei. »Und die Hirten fürchteten sich, denn sie wußten nicht, was dieses Licht war. Und Geräusche hörten sie, wie von Glocken, die im Himmel geläutet wurden. Aber sie sahen, daß es Gottes Engel war, der zu ihnen herabkam.«
    Agnes hatte geschrien und meine Hände fortgestoßen, wenn ich versuchte, ihr Knie zu berühren, aber von Pater Roches großen Fingern ließ sie das rotgeschwollene Knie abtasten und drücken. Der Anfang eines roten Streifens war deutlich erkennbar. Roche befühlte ihn vorsichtig und hielt das Binsenlicht näher.
    »Und es kamen aus einem fernen Land«, sagte er, ins Licht blinzelnd, »drei Könige, die Geschenke brachten.« Wieder berührte er den roten Streifen, dann faltete er die Hände, als wolle er beten, und ich dachte: Bete nicht, tu etwas.
    Er ließ die Hände sinken und blickte zu mir her. »Ich fürchte, die Wunde ist vergiftet«, sagte er. »Ich werde einen Aufguß von Ysop machen, um das Gift herauszuziehen.« Er ging hinüber zur Herstelle, stocherte ein paar lauwarm aussehende Holzkohlen auf und schüttete Wasser aus einem hölzernen Eimer in einen eisernen Topf.
    Der Eimer war schmutzig, der Topf war schmutzig, die Hände, mit denen er Agnes’ Wunde befühlt hatte, waren schmutzig, und als ich ihn den Topf auf das frisch entfachte Feuer stellen und ihn in einem schmierigen Beutel graben sah, bedauerte ich, daß ich gekommen war. Er war nicht besser als Imeyne. Ein Aufguß von Blättern und Samen würde eine Blutvergiftung so wenig heilen wie einer von Imeynes Umschlägen, und seine Gebete würden auch nicht helfen, selbst wenn er zu Gott sprach, als ob er wirklich da wäre.
    Beinahe hätte ich ihn gefragt, ob das alles sei, was er tun könne, aber dann begriff ich noch rechtzeitig, daß ich Unmögliches erwartete. Wundinfektionen behandelte man mit Penicillin, T-Zellen-Verstärkung und antiseptischen Mitteln, aber von alledem hatte er nichts in seinem alten Leinwandbeutel.
    Ich erinnere mich, wie Mr. Gilchrist in einer seiner Vorlesungen über mittelalterliche Medizin sprach. Danach gab es eine hochentwickelte Kräuterheilkunde, die sich jedoch in den Händen der Ärzte mit allerlei unsinnigen, abergläubischen und oftmals schädlichen Praktiken verband.
    So wurden Kranke bei den verschiedensten Leiden zur Ader gelassen, mit Arsen und Quecksilber behandelt und bekamen unter anderem pulverisierte Kröten und Ziegenurin als Arznei. Aber was konnte man erwarten? Niemand wußte, was Krankheiten verursachte. Wie Pater Roche jetzt dastand und getrocknete Blüten und Blätter zwischen seinen schmutzigen Fingern zerkrümelte, tat er sein Bestes.
    »Habt Ihr Wein?« fragte ich ihn. »Alten Wein?«
    Das in der Gegend gebraute Dünnbier enthält kaum Alkohol, und der Wein ist sauer, aber er ist durchgegoren, und je länger er lagert, desto höher der Alkoholgehalt, und Alkohol wirkt antiseptisch.
    »Ich erinnere mich, daß alter Wein, in eine Wunde gegossen, manchmal Infektionen hemmen kann«, sagte ich.
    Er fragte mich nicht, was »Infektion« sei, oder wie ich mich daran erinnern konnte, wenn ich andererseits behauptete, das Gedächtnis verloren zu haben und mich an nichts anderes zu erinnern. Er ging sofort hinüber in die Sakristei und brachte einen kleinen irdenen Krug mit stark riechendem Wein, mit dem ich die Wunde auswusch und den Verbandstoff durchtränkte.
    Ich verschloß den Krug mit einem Leinwandstopfen und nahm ihn mit nach Hause. Hier habe ich ihn unter dem Bett versteckt – sollte es sich nämlich um Meßwein handeln, würde Imeyne den Vorfall benutzen, um Pater Roche als Häretiker anzuklagen –, damit ich die Wunde weiter mit dem Wein behandeln kann. Bevor Agnes zu Bett ging, goß ich noch etwas vom Wein in die Wunde.

 
19
     
     
    Es regnete bis zum Weihnachtsabend, ein harter, winterlich kalter Regen, der durch den Rauchabzug im Dach kam und im Feuer zischte.
    Kivrin behandelte Agnes’ Knie bei jeder Gelegenheit mit Wein, und am Nachmittag des 23. Dezember sah es ein wenig besser aus. Es war noch

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