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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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begann das Confiteor, und Kivrin flüsterte es mit ihm, aber er brachte es fehlerlos zu Ende, und sie begann sich ein wenig zu entspannen, obwohl sie ihn mit besorgter Aufmerksamkeit beobachtete, als er die Stufen zum Altar erstieg, um nach kurzem Stillgebet mit dem Eingangslied fortzufahren.
    Er trug eine schwarze Soutane unter dem Chorhemd, und beide sahen aus, als seien sie einst von feiner Machart gewesen. Für Roche waren sie jedoch ein gutes Stück zu kurz.
    Wenn er sich über den Altar beugte, konnte sie mindestens zehn Zentimeter seiner gestopften braunen Strümpfe unter dem Saum der Soutane hervorschauen sehen. Wahrscheinlich hatten die Kleidungsstücke einmal seinem Amtsvorgänger gehört oder waren abgelegte Stücke von Imeynes Kaplan.
    Der Priester der Traditionalisten hatte einen baumwollenen Chorrock mit Spitzen und weiten Ärmeln über dem gegürteten schwarzen Talar getragen. Er hatte Kivrin versichert, daß die Messe völlig authentisch sei, auch wenn sie am Nachmittag gehalten werde. Die durch ihre versuchte Popularisierung fragwürdige Liturgiereform mit der Abschaffung des Lateinischen werde von seiner Kirche nach wie vor strikt abgelehnt. Aber sein Gotteshaus war ein umgewandeltes Schreibwarengeschäft gewesen, als Altar hatte ein Klapptisch dienen müssen, und das Glockenspiel vom Carfax-Turm draußen den Gottesdienst arg gestört.
    »Kyrie eleison«, sagte Cob, mit gefalteten Händen auf den Altarstufen kniend.
    »Kyrie eleison«, sagte Pater Roche.
    »Christe eleison«, sagte Cob.
    »Christe eleison«, sagte Agnes munter.
    Kivrin machte »schhh« und legte den Finger an die Lippen. Herr erbarme dich unser, Christus erbarme dich unser. Auch beim ökumenischen Gottesdienst hatten sie das Kyrie verwendet, wahrscheinlich, weil der Priester der Traditionalisten vom Vikar eine Gegenleistung für das Verschieben der Gottesdienstzeit verlangt hatte, aber der Geistliche der Kirche des Tausendjährigen Reiches hatte sich geweigert, es mitzubeten und in kalter Mißbilligung zugesehen, wie Frau Imeyne es jetzt tat.
    Pater Roche schien seine anfängliche Unsicherheit überwunden zu haben; er las das Gloria, die Epistel und das Graduale ohne zu stocken und begann das Evangelium »Sequentia sancti Evangelii secundum Lucam«, schlug das Buch auf und fing an, mühsam die lateinischen Worte zu lesen. »In jener Zeit erging vom Kaiser Augustus der Befehl, das ganze Land aufzuzeichnen.«
    Der Vikar hatte in St. Mary das gleiche Evangelium aus der »überarbeiteten und dem neuzeitlichen Sprachgebrauch angeglichenen« Volksbibel gelesen, worauf die Kirche des Tausendjährigen Reiches bestanden hatte, aber es schien nicht nur Jahrhunderte in der Zeit, sondern Welten in der Gesinnung und dem Glauben entfernt von dem Evangelium, das Pater Roche mühevoll vortrug.
    »Und plötzlich war bei dem Engel eine große himmlische Heerschar, die Gott lobte und sang: ›Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.‹« Pater Roche verbeugte sich und küßte das Evangelienbuch. »Per evangelica dicta deleantur nostro delicta.«
    Als nächstes sollte die Predigt kommen, wenn es eine gab. In den meisten Dorfkirchen predigten die Pfarrer nur zu den Hochämtern, und selbst dann war es gewöhnlich nicht mehr als eine Lektion aus dem Katechismus, die Aufzählung der sieben Todsünden oder eine Erläuterung des jeweiligen Evangeliums. Wahrscheinlich würde die Predigt erst im Hochamt am Weihnachtstag gehalten.
    Aber Pater Roche trat durch die Chorschranke vor den Mittelgang im Kirchenschiff und begann zu sprechen.
    »In den Tagen, als Christus vom Himmel zur Erde kam, sandte Gott ein Zeichen, daß die Menschen von seinem Kommen wissen sollten, und auch in den letzten Tagen wird es Zeichen geben. Es wird Hungersnöte und Pestilenz geben, und Satan wird im Land umgehen.«
    Ach nein, dachte Kivrin, erzähl uns nicht, du habest den Teufel auf einem schwarzen Pferd gesehen. Sie blickte zu Imeyne. Die alte Frau sah wütend aus, aber es kam vermutlich nicht darauf an, was der Pfarrer sagte; sie war entschlossen, Fehler und Versäumnisse zu finden, die sie dem Bischof hinterbringen konnte. Frau Yvolde schien ein wenig irritiert, und alle anderen, die Kivrin sehen konnte, zeigten jenen Ausdruck müder Geduld, den die Menschen immer bekamen, wenn sie einer Predigt lauschten, gleich in welchem Jahrhundert. Letzte Weihnachten hatte Kivrin die gleichen Mienen in St. Mary gesehen.
    In St. Mary hatte die

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