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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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Predigt von Müllverwertung gehandelt, und der Dechant von Christ Church hatte sie mit den Worten begonnen: »Das Christentum nahm seinen Anfang in einem Stall. Wird es in einer Kläranlage enden?«
    Aber das hatte nichts ausgemacht. Es war Mitternacht gewesen, und in St. Mary gab es einen Steinfußboden und einen richtigen alten Altar, und wenn sie die Augen geschlossen hatte, war es ihr möglich gewesen, den Teppichboden im Mittelgang des Kirchenschiffes, die Lautsprecher und Laserkerzen, die Regenschirme und die Fußbodenheizung auszuschließen. Sie war vor der gepolsterten Kniebank niedergekniet und hatte sich vorgestellt, wie es im Mittelalter sein würde.
    Mr. Dunworthy hatte sie aufgeklärt, daß es anders als alles sein würde, was sie sich vorgestellt habe, und er hatte natürlich recht. Aber nicht im Fall dieser Messe. Genauso hatte sie es sich vorgestellt, den Fußboden aus unebenen Steinplatten, das lateinisch gemurmelte Gebet, die Gerüche von Weihrauch und Talgkerzen und ungewaschenen Menschen und kalter Mauerfeuchtigkeit.
    »Der Herr wird mit Feuer und Pestilenz kommen, und alle werden zugrunde gehen«, sagte Roche, »aber selbst in diesen letzten Tagen wird Gottes Barmherzigkeit uns nicht verlassen. Er wird uns Hilfe und Trost senden und uns sicher in den Himmel bringen.«
    Sicher in den Himmel. Sie dachte an Mr. Dunworthy. »Gehen Sie nicht«, hatte er gesagt. »Es wird weit von dem entfernt sein, was Sie sich denken.« Und er hatte recht. Er hatte immer recht.
    Aber selbst er, mit all seinen Zwangsvorstellungen und Ängsten vor Pocken und Halsabschneidern und Hexenverbrennungen, würde sich niemals gedacht haben, daß sie verlorengegangen war. Daß sie nicht wußte, wo der Absetzort war, und das weniger als eine Woche vor dem Rückholtermin. Sie blickte über den Mittelgang hin zu Gawyn, schlug den Blick aber sofort nieder, als sie sah, daß er herüber zu Eliwys schaute. Wenn es irgend möglich war, mußte sie nach der Messe mit ihm sprechen.
    Pater Roche kehrte an den Altar zurück und setzte den Gottesdienst fort. Agnes lehnte sich gegen Kivrin, die ihr einen Arm um die Schultern legte. Das arme Kind, sie mußte erschöpft und übermüdet sein. Seit dem frühen Morgen auf den Beinen, und all dieses wilde Herumtollen. Sie überlegte, wie lang die Messe dauern würde.
    Der ökumenische Gottesdienst in St. Mary hatte ein-einviertel Stunden gedauert, und schon während des Offertoriums war Dr. Ahrens’ Signalgeber angegangen. »Eine Geburt«, hatte sie Dunworthy und Kivrin zugeflüstert, bevor sie hinausgeeilt war. »Wie passend.«
    Sie stellte sich vor, daß in Oxford jetzt alle in der Kirche sein würden, bevor ihr einfiel, daß dort Weihnachten längst vorbei war. Sie hatten dort drei Tage nach ihrer Ankunft hier Weihnachten gefeiert, während sie noch krank gewesen war. Was für ein Tag würde es sein? Der 2. Januar, kurz vor dem Ende der Weihnachtsferien und alle Dekorationen bereits entfernt.
    Allmählich erwärmten die vielen Menschen im Kirchenschiff die kalte Luft, aber der Steinboden und die gemauerten Wände strahlten unverminderte Kälte aus. Hinter ihr hörte sie Füßescharren, Rascheln und Husten, während Pater Roche die liturgischen Stationen der heiligen Messe zelebrierte, und Agnes sank mehr und mehr gegen sie. Sie war froh, als das Sanctus erreicht war und sie niederknien konnte.
    Wieder gingen ihre Gedanken nach Oxford, und sie stellte sich die Stadt am 2. Januar vor, die Schaufenster der Geschäfte voller Reklame für den Neujahrsverkauf, das Glockenspiel vom Carfax-Turm endlich verstummt. Dr. Ahrens würde sich in der Klinik mit nachfesttäglichen Lebensmittelvergiftungen befassen, und Mr. Dunworthy würde sich auf die kommenden Seminare und Vorlesungen vorbereiten. Nein, vielleicht nicht, dachte sie und sah ihn hinter der gläsernen Trennwand stehen. Er wird sich Sorgen um mich machen.
    Pater Roche hob den Kelch mit beiden Händen, kniete nieder, küßte den Altar. In das Füßescharren und Husten mischte sich ein Flüstern von der Männerseite des Kirchenschiffes, und sie blickte hinüber. Gawyn hatte sich auf die Fersen zurücksinken lassen und schaute gelangweilt drein. Sir Bloet war eingeschlafen und wurde von einem Diener gestützt.
    Auch Agnes schlief. Sie war so schlaff gegen Kivrin gesackt, daß es kaum möglich sein würde, sie zum Paternoster auf die Beine zu stellen. Kivrin versuchte es nicht einmal. Als alle anderen aufstanden, nahm sie die Gelegenheit wahr, Agnes

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