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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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war nun etwas lockerer, aber noch nicht weit genug, um es über die Hand zu streifen. Sie blickte zurück zur Kirchentür. Das Läuten hatte aufgehört, aber von Pater Roche war noch nichts zu sehen. Die Dorfbewohner waren inzwischen hereingekommen und füllten das Kirchenschiff, die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite. Jemand hatte ein Kind auf den Sarkophag gehoben und stützte es dort, damit es besser sehen könne, aber es gab noch nichts zu sehen.
    Sie machte sich wieder an die Arbeit mit der Glocke, bekam zwei Finger unter das Band und zog es aufwärts, um es noch weiter zu dehnen.
    »Zerreiß es nicht«, sagte Agnes in ihrem weithin hörbaren Bühnenflüstern. Kivrin ergriff die Glocke und zog sie herum, daß sie in Agnes’ Handfläche lag.
    »Halte sie so«, flüsterte sie und bog Agnes Finger darum. »Fest.«
    Agnes ballte gehorsam ihre kleine Faust, und Kivrin faltete Agnes’ andere Hand über die Faust, daß es ungefähr einer Beterhaltung entsprach, und sagte leise: »Halt die Glocke fest, dann wird sie nicht läuten.«
    Agnes drückte die Hände in einer Haltung engelsgleicher Frömmigkeit an die Stirn.
    »Gutes Kind«, sagte Kivrin und legte ihr den Arm um die Schultern. Sie blickte zurück zum Eingang. Die Tür war noch geschlossen. Sie atmete erleichtert auf und wandte sich dem Altar zu, der durch das geschnitzte Gitterwerk des Lettners gut zu sehen war.
    Pater Roche stand dort. Er mußte den Chor durch die Sakristei betreten haben, trug eine bestickte weiße Stola und ein vergilbtes weißes Chorhemd, dessen Saum sehr viel mehr ausgefranst war als Agnes’ Band, und hielt ein Buch in den Händen. Offensichtlich hatte er auf sie gewartet und sie die ganze Zeit beobachtet, während sie sich um Agnes gekümmert hatte, aber es war kein Tadel in seinem Gesicht, nicht einmal Ungeduld. Seine Züge zeigten einen gänzlich anderen Ausdruck, und sie fühlte sich plötzlich an Mr. Dunworthy erinnert, wie er dastand und sie durch die gläserne Trennwand beobachtete.
    Frau Imeyne räusperte sich vernehmlich, und er schien zu sich zu kommen. Er übergab das Buch Cob, der ein schmieriges altes Chorhemd und ein Paar zu große Lederschuhe trug und seitlich vor dem Altar kniete. Dann nahm er das Buch zurück und begann das Stufengebet.
    Kivrin sprach die lateinischen Worte leise mit und hörte das Echo der Übersetzung durch den Dolmetscher.
    »Sende mir Dein Licht und Deine Wahrheit, daß sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich führen in Dein Zelt.« Einige aus der Gemeinde, die das Gebet auswendig wußten, antworteten, angeführt von Imeyne und Yvolde: »Dort darf ich zum Altare Gottes treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf.«
    Pater Roche tat den Mund auf, dann sah er stirnrunzelnd zu Kivrin.
    Er hat vergessen, wie es weitergeht, dachte sie. Besorgt blickte sie zu Imeyne, hoffte, diese würde nichts bemerkt haben, aber sie hatte den Kopf erhoben und blickte finster zu ihm hin, den Unterkiefer im seidenen Kopftuch vorgeschoben.
    Pater Roche stand noch immer mit gerunzelter Stirn und sah Kivrin an. »Dann will ich Dich mit Harfenspiel lobpreisen, Gott, mein Gott«, sagte er, und Kivrin seufzte erleichtert. »Wie kannst du da bekümmert sein, mein Herz?«
    Das war nicht richtig. Sie machte die Lippenbewegungen der nächsten Worte, als wollte sie sich einem Taubstummen verständlich machen: »Wie mich mit Kummer quälen?«
    Er gab nicht zu erkennen, daß er gesehen hatte, was sie sagte, obwohl er sie unverwandt ansah. Wie kannst du, meine Seele… Er brach ab.
    »Wie kannst du da noch trauern, meine Seele, wie mich mit Kummer quälen?« flüsterte Kivrin mit überdeutlichen Lippenbewegungen. Am Rande ihres Gesichtsfeldes sah sie, daß Frau Imeyne den Kopf zu ihr wandte.
    »Heute sollt ihr wissen: der Herr kommt, uns zu erlösen«, sagte Roche, und das stimmte auch nicht, aber Frau Imeyne richtete ihren Blick wieder nach vorn, um ihren Unmut auf Roche zu konzentrieren.
    Zweifellos würde der Bischof davon hören, und von den Kerzen, und von dem zerschlissenen Saum des Chorhemdes und von allen anderen Irrtümern und Verstößen, die er womöglich begangen hatte.
    »Dem Herrn gehört die Welt und ihre ganze Fülle«, sagte Kivrin ihm mit lautlosen Lippenbewegungen vor, und er schien plötzlich zu sich zu kommen.
    »Dem Herrn gehört die Welt und ihre ganze Fülle«, sagte er mit klarer Stimme, »der Erdkreis und alle, die ihn bewohnen.«
    Darauf ging es ziemlich glatt weiter, er

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