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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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eine Frage der Zeit, bis die alte Frau mich zur Zielscheibe ihrer Schuldzuweisungen machen wird. Ich sah, daß sie mich über ihr aufgeschlagenes Stundenbuch hinweg beobachtete, als ich das Wasser holen ging, das Maisry vergessen hatte, und ich kann mir gut vorstellen, was sie dachte – daß ich zuviel über die Pest weiß, um nicht vor ihr geflohen zu sein, daß ich mein Gedächtnis verloren habe, um Fragen nach meiner Identität vorzubeugen, daß ich nicht verletzt, sondern krank war.
    Wenn sie auf solche Anschuldigungen verfällt, muß ich damit rechnen, daß sie Eliwys überzeugen wird, ich sei die Ursache, und statt auf meine ketzerischen Reden zu hören, sollten sie die Barrikade forträumen und zusammen Gott um Verschonung bitten.
    Und wie soll ich mich verteidigen? Indem ich sage, daß ich aus der Zukunft komme, wo wir alles über die Pest wissen, nur nicht, wie sie ohne Tetracyclin geheilt werden kann und wie wir wieder zurückkommen können?
    Gawyn ist bisher ausgeblieben. Eliwys sagt nichts, doch muß sie vor Sorge am Verzweifeln sein. Als Pater Roche den Hof verließ, um die Vesperglocke zu läuten und zu beten, stand sie ohne Umhang und Kopftuch am Tor und sah auf die Straße hinaus. Ich frage mich, ob ihr der Gedanke gekommen sein mag, daß er die Krankheit schon in sich hatte, als er nach Bath ritt. Er begleitete den Gesandten des Bischofs nach Courcy, und als er zurückkam, wußte er bereits von der Pest.
     
    (Unterbrechung)
     
    Der Dorfvorsteher Ulf ist dem Tod nahe, und seine Frau und einer seiner Söhne sind an der Pest erkrankt. Keine Beulen, aber die Frau hat mehrere kleine Anschwellungen wie Samenkörner an der Innenseite der Schenkel. Pater Roche muß ständig erinnert werden, seine Maske zu tragen und die Kranken nicht mehr als unbedingt nötig zu berühren.
    Die Geschichtsdarstellungen schreiben den Zeitgenossen blinde Panik und feiges Verhalten während des Schwarzen Todes zu. Sie bemängeln, daß die Menschen davonliefen, die Kranken im Stich ließen, statt sie zu pflegen, und daß die Priester am schlimmsten von allen gewesen seien, aber nach meinen Beobachtungen ist es ganz und gar nicht so.
    Alle sind in Angst und Schrecken, aber die armen Leute tun, was sie können, und Pater Roche ist bewundernswert. Während ich die Frau des Dorfvorstehers untersuchte, saß er bei ihr und hielt ihre Hand und tröstete sie, und er schreckt nicht vor den niedrigsten und widerwärtigsten Arbeiten zurück – offene Pestbeulen waschen, Nachttöpfe ausleeren, den Sekretär waschen. Er scheint keine Furcht zu kennen. Ich weiß nicht, woher er seinen Mut nimmt.
    Dabei vernachlässigt er seine geistlichen Pflichten nicht. Er hält die Morgen- und Abendandachten, liest jeden Tag die Messe und betet, berichtet Gott von Rosemund und wer neuerlich erkrankt ist, erläutert ihre Symptome und sagt, was wir für sie tun, als ob Er ihn wirklich hören könnte. So wie er zu mir spricht.
    Ist Gott auch da, frage ich mich, aber von uns getrennt durch etwas Schlimmeres als die Zeit, etwas Undurchdringliches, so daß er uns nicht finden kann?
     
    (Unterbrechung)
     
    Wir können die Pest jetzt hören. In den Dörfern wird zu jedem Begräbnis die Totenglocke geläutet, neun Schläge für einen Mann, drei für eine Frau, einer für ein Kind. Esthcote hatte heute vormittag zwei Begräbnisse, und die Glocke von Osney ist seit gestern kaum verstummt. Die Glocke im Südwesten, die ich bei meiner Ankunft hören konnte, ist verstummt. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, daß die Pest dort erloschen ist oder ob niemand übrig geblieben ist, die Glocke zu läuten.
     
    (Unterbrechung)
     
    Lieber Gott, bitte laß Rosemund nicht sterben. Bitte laß nicht zu, daß Agnes angesteckt wird. Und laß Gawyn zurückkehren.

 
28
     
     
    Der Junge, der vor Kivrin fortgelaufen war, als sie, von Krankheit geschwächt, den Absetzort gesucht hatte, wurde in der Nacht pestkrank. Seine Mutter stand vor der Kirchentür und wartete auf Pater Roche, als er am Morgen kam, die Frühmesse zu halten. Der Junge hatte eine Pestbeule am Rücken, und Kivrin schnitt sie auf, während Roche und die Mutter ihn festhielten.
    Sie tat es widerstrebend. Der Junge war mager, von Skorbut geschwächt, und Kivrin hatte keine Ahnung, ob unter den Schulterblättern Arterien verliefen. Rosemunds Zustand schien sich nicht gebessert zu haben, obgleich Pater Roche behauptete, ihr Puls sei kräftiger. Sie war so weiß, als wäre kein Tropfen Blut mehr in ihr, und so still.

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