Die Jahre des Schwarzen Todes
den Kopf. »Wir können ihm auf keinen Fall die gleiche Begründung geben, mit der ich ihn während Ihrer Krankheit überredete, mich zu entlassen, damit ich das Netz öffnen könne. Er meinte damals, ich sei nicht gesund genug, ließ es aber zu, und dann hatte ich den Rückfall…«
Dunworthy betrachtete ihn sorgenvoll. »Sind Sie sicher, daß Sie in der Lage sein werden, das Netz zu bedienen? Vielleicht kann ich nun, da die Epidemie unter Kontrolle ist, Andrews bekommen.«
»Es ist nicht genug Zeit«, sagte Badri. »Und es war meine Schuld. Ich möchte die Operation durchführen. Vielleicht kann Mr. Finch einen anderen Arzt finden, der meine Entlassung verantwortet.«
»Ja«, sagte Dunworthy. »Und sagen Sie meinem Stationsarzt, daß ich ihn sprechen muß.« Er griff zu Colins Buch. »Und noch etwas, Mr. Finch. Ich brauche ein Kostüm.« Er blätterte auf der Suche nach einer Illustration mittelalterlicher Kleidung herum. »Keine Klettverschlüsse, keine Reißverschlüsse, keine Knöpfe.« Endlich fand er eine Abbildung, die Boccaccio zeigte, und hielt sie Finch hin. »Rufen Sie am besten beim Theater an, ob sie in der Requisitenkammer etwas Passendes haben.«
»Ich werde mein Möglichstes tun, Sir«, sagte Finch und betrachtete runzelnd und zweifelnd die Illustration.
Die Tür flog auf, und die Schwester kam entrüstet hereingestürmt. »Mr. Dunworthy, das ist völlig unverantwortlich«, sagte sie in einem Ton, der geeignet war, einen Herzinfarkt auszulösen. »Wenn Sie schon nicht bereit sind, auf Ihre eigene Gesundheit achtzugeben, dann sollten Sie wenigstens nicht die der anderen Patienten gefährden.« Sie fixierte Finch mit einem durchbohrenden Blick. »Mr. Dunworthy wird keine Besuche mehr empfangen.«
Ihr zorniger Blick schwenkte zu Colin, dann nahm sie die Handgriffe des Rollstuhls und schwang ihn so scharf herum, daß Badris Kopf zurückgerissen wurde. »Was können Sie sich bloß gedacht haben, Mr. Chaudhuri? Sie haben bereits einen Rückfall erlitten. Ich werde nicht zulassen, daß es noch einmal dazu kommt.« Und sie schob ihn hinaus.
»Ich sagte ja, daß wir ihn nie hinausbringen würden«, meinte Colin.
Sie stieß die Tür wieder auf. »Keine Besucher!« sagte sie zu Colin.
»Ich komme wieder«, flüsterte Colin und schlüpfte an ihr vorbei.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht, solange ich hier etwas zu sagen habe.«
Anscheinend hatte sie etwas zu sagen. Colin kehrte erst zurück, nachdem sie Dienstschluß hatte und nach Haus gegangen war, und dann nur, um Badri eine Fernbedienung zu bringen und Dunworthy über die Pestschutzimpfung zu unterrichten. Finch hatte das Gesundheitsamt angerufen. Nach der Schutzimpfung waren zwei Wochen erforderlich, bis die volle Immunität erreicht war, und sieben Tage für einen teilweisen Schutz. »Und Mr. Finch möchte wissen, ob Sie nicht auch gegen Cholera und Typhus geimpft werden sollten.«
»Es ist nicht genug Zeit«, sagte er. Es war auch nicht genug Zeit für eine Pestimpfung. Kivrin war bereits über drei Wochen dort, und jeder Tag verminderte ihre Überlebenschancen. Und er war der Entlassung nicht nähergekommen.
Als Colin gegangen war, läutete er der Schwester – es war die Praktikantin – und sagte ihr, er wolle den Stationsarzt sprechen. »Ich bin reif für die Entlassung«, sagte er.
Sie lachte.
»Ich bin völlig wiederhergestellt«, versicherte er ihr. »Heute vormittag bin ich zehn Minuten im Korridor herumgelaufen.«
Sie schüttelte den blonden Kopf. »Rückfälle sind bei diesem Virus ungewöhnlich häufig vorgekommen. Ich kann das Risiko einfach nicht verantworten.« Sie lächelte ihm zu. »Wohin müssen Sie denn so dringend? Gefällt es Ihnen nicht bei uns? Wer oder was immer solche Anziehungskraft auf Sie ausübt, kann sicherlich noch eine Woche ohne Sie überleben.«
»Es ist Semesterbeginn«, sagte er, und das entsprach der Wahrheit. »Bitte sagen Sie meinem behandelnden Arzt, daß ich ihn sprechen möchte.«
»Dr. Warden wird Ihnen nur sagen, was ich Ihnen gesagt habe«, sagte sie, doch anscheinend gab sie die Bitte weiter, denn am späten Nachmittag kam er zu ihm.
Offensichtlich hatte man ihn aus dem Ruhestand geholt, um die krankheitsbedingten Personalausfälle während der Epidemie auszugleichen. Er erzählte Dunworthy eine lange Geschichte über die medizinischen Verhältnisse während der Epidemie und verkündete dann mit brüchiger Stimme: »Zu meiner Zeit behielten wir die Patienten im Krankenhaus, bis sie ganz
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