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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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jungen Mann zu äußern.
    Eliwys konnte mit ihm sprechen, weil sie während der Abwesenheit ihres Mannes die Hausherrin und seine Brotgeberin war, und Imeyne war die Mutter seines Herrn, aber Kivrin hätte warten sollen, bis er das Wort an sie richtete, um ihm dann mit aller Bescheidenheit und Züchtigkeit, die von einem jungen Mädchen erwartet wurde, zu antworten. Aber ich muß mit ihm reden, dachte sie. Er weiß als einziger, wo der Absetzort ist.
    Agnes kam wieder hereingestürzt und riß den schlafenden Welpen an sich. »Großmutter war sehr böse. Sie dachte, ich wäre in den Brunnen gefallen«, sagte sie und rannte wieder hinaus.
    Sicherlich hatte Maisry aus diesem Anlaß wieder Ohrfeigen bekommen, diesmal von der Großmutter, dachte Kivrin. Schon einmal hatte Maisry heute Verdruß bekommen, weil sie Agnes aus den Augen verloren hatte, die zu Kivrin gekommen war, um ihr Imeynes Silberkette zu zeigen, die sie »ein Rillieklary« nannte, ein Wort, vor dem der Dolmetscher kapitulierte. In dem kleinen Kasten, vertraute sie Kivrin an, sei ein Stück vom Grabtuch des heiligen Stephan. Frau Imeyne hatte Maisry die pockennarbigen Wangen geohrfeigt, weil sie Agnes nicht im Auge behalten und sie das Reliquiar hatte nehmen lassen – aber nicht, weil sie das kleine Mädchen ins Krankenzimmer gelassen hatte.
    Niemand schien besorgt zu sein, daß die Mädchen Kivrin zu nahe kommen könnten, oder an die Möglichkeit einer Ansteckungsgefahr zu denken. Weder Eliwys noch Imeyne trafen irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen, wenn sie sie versorgten.
    Die Zeitgenossen hatten die Mechanik der Krankheitsübertragung nicht verstanden – sie glaubten, Krankheit sei eine Konsequenz der Sünde, und Epidemien eine Strafe Gottes –, aber sie hatten von Ansteckung gewußt. In der Zeit des Schwarzen Todes hatte das Motto gelautet: »Geh schnell fort, wandere weit, verweile lang«, und Quarantänebestimmungen hatte es schon früher gegeben.
    Aber nicht hier, dachte Kivrin, und was würde geschehen, wenn die kleinen Mädchen sich bei ihr infiziert hatten? Oder Pater Roche?
    Er war während der schlimmsten Phase ihrer Krankheit bei ihr gewesen, hatte ihre Hand gehalten, sie nach ihrem Namen gefragt. Ihre Erinnerung an diese Zeit blieb getrübt und lückenhaft. Sie war vom Pferd gefallen, und dann war da ein Feuer gewesen. Nein, das hatte sie sich in ihrem Fieberwahn eingebildet. Und das weiße Pferd. Gawyns Pferd war schwarz.
    Sie waren durch einen Wald und einen Hügel hinab an einer Kirche vorbeigeritten, und der Halsabschneider hatte… Es hatte keinen Zweck. Die Nacht war ein formloser Traum voller beängstigender Gesichter, Glocken und Flammen. Selbst die Erinnerung an den Absetzort war verschwommen und unklar. Große Eichen waren dort, und dichtes Unterholz, und sie hatte mit dem Rücken am Wagenrad gesessen, weil sie sich schwindlig gefühlt hatte, und der Halsabschneider… Nein, sie hatte sich den Halsabschneider eingebildet. Und das weiße Pferd. Vielleicht hatte sie sich auch die Kirche eingebildet. Sie würde Gawyn fragen müssen, wo der Absetzort war, aber nicht vor Frau Imeyne, die sie für eine flüchtige Ehebrecherin hielt. Vor allem mußte sie gesund werden, genug Kräfte sammeln, um aufzustehen und aus dem Haus zu gehen. Hinüber zum Stall, um Gawyn zu finden und allein mit ihm zu sprechen. Alles hing von ihrer Gesundung ab.
    Zwar fühlte sie sich ein wenig kräftiger, doch war sie noch immer zu schwach, um ohne Hilfe zum Nachttopf zu gehen. Das Schwindelgefühl war mit dem Fieber vergangen, aber ihre Kurzatmigkeit dauerte an. Auch die anderen glaubten, daß sie sich auf dem Weg der Besserung befand. Sie hatten sie den größten Teil des Vormittags allein gelassen und Eliwys war nur so lange bei ihr geblieben, wie das Auftragen der übelriechenden Salbe gedauert hatte. Und ihre unziemlichen Fragen nach Gawyn.
    Es kam jetzt darauf an, sich nicht zu sorgen, was Agnes ihr gesagt hatte, oder warum die antivirale Vorbeugung nicht gewirkt hatte oder wie weit es zum Absetzort war, sondern rasch wieder zu Kräften zu kommen. Den ganzen Nachmittag kam niemand zu ihr, und sie übte das Sitzen auf der Bettkante mit heraushängenden Beinen. Als Maisry später mit einem Kienspan kam, um ihr zum Nachttopf zu helfen, konnte sie ohne Hilfe zum Bett zurückgehen.
    In der Nacht wurde es kälter, und als Agnes sie am Morgen besuchte, trug sie einen roten Umhang und eine sehr dicke wollene Kapuze und weiße Fäustlinge aus Kaninchenfell.

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