Die Jahre mit Laura Diaz
und Frankreich. Berlin und Rom griffen mit aller Macht zugunsten Francos ein, Paris und London ließen die »Republik in Kinderschuhen« allein, wie Maria Zambrano sie genannt hatte. Die kleine Blüte der spanischen Demokratie wurde von allen mit Füßen getreten, von ihren Freunden, ihren Feinden und manchmal auch von ihren Parteigängern.
Laura Dïaz sagte, sie wolle alles mit ihm zusammen sein, alles mit ihm teilen, alles wissen, sie sei verliebt in ihn, wahnsinnig verliebt.
Jorge Maura verzog keine Miene, und Laura wußte nicht, ob das Teil seiner Art war, ihr zuzuhören, ohne einen Kommentar abzugeben, oder ob der Hidalgo nur eine Pause machte, bevor er von sich aus mit seiner Geschichte begann. Vielleicht hatte es etwas von beidem.
»Ich schwöre dir, daß ich umkomme, wenn ich nicht alles über dich erfahre«, kam diesmal sie ihm zuvor.
Er sagte, Spanien sei für die Spanier ebenso wie Mexiko für die Mexikaner eine schmerzliche Zwangsvorstellung. Kein optimistischer Hymnus wie für die Nordamerikaner ihr Vaterland, kein phlegmatischer Scherz wie für die Engländer das ihre, auch kein sentimentaler Wahn wie für die Russen und keine vernunftbestimmte Ironie wie für die Franzosen, ebensowenig ein Kampfauftrag, als den die Deutschen das ihre ansehen, vielmehr ein Konflikt zweier Hälften, entgegengesetzter Teile, unterschiedlicher Seelenbereiche. Spanien und Mexiko: Länder der Sonne und des Schattens.
Er begann damit, von Ereignissen zu erzählen, ohne sie zu kommentieren, während die beiden inmitten der Hecken und Kiefern des Parque de la Lama spazierengingen. Zuvor hatte er ihr erklärt, er sei erstaunt über die Ähnlichkeit zwischen Mexiko und Kastilien. Warum hatten die Spanier eine Hochebene wie die kastilische ausgesucht, um ihr erstes und wichtigstes Vizekönigreich in Amerika zu gründen?
Er habe das trockene Land betrachtet, die braunen Berge, die Schneegipfel, die kalte und klare Luft, die trostlosen Wege, die Esel und die nackten Füße, die schwarzgekleideten, Umlegetücher tragenden Frauen, die würdigen Bettler, die schönen Kinder, den Blumenschmuck und die reiche kulinarische Vielfalt zweier ausgehungerter Länder. Er habe die Oasen besucht, wie diese hier mit ihrem frischen Grün, und gespürt, daß er entweder nicht den Ort gewechselt habe oder die Gabe der nicht allein körperlichen, sondern auch historischen Allgegenwart besitze; wenn man als Spanier oder Mexikaner geboren sei, werde die Lebenserfahrung zum Schicksal.
Er liebte sie und wollte, daß sie alles über ihn erfuhr. Alles über den Krieg, wie er ihn erlebt hatte. Er war Soldat. Er gehorchte. Aber zunächst rebellierte er, um später besser zu gehorchen. Wegen seiner sozialen Herkunft wollte man ihn von Anfang an für diplomatische Aufträge verwenden. Er war Schüler Ortega y Gassets und Nachkomme von Antonio Maura y Montaner, dem ersten reformerischen Minister der Jahrhundertwende, dazu Absolvent der deutschen Universität Freiburg. Doch zuerst wollte er den Krieg selber erleben, um die Wahrheit zu erfahren, und danach könnte er ihn verteidigen und, falls notwendig, Verhandlungen führen. Erst mußte er Bescheid wissen. Zuerst die Wahrheit der Lebenserfahrung. Danach die Wahrheit der Schlußfolgerungen. »Erfahrungen und Schlußfolgerungen«, sagte er zu Laura, »vielleicht ist das die vollständige Wahrheit, bis die Schlußfolgerungen von neuen Erfahrungen widerlegt werden. Ich habe einen unermeßlichen Glauben und gleichzeitig einen unermeßlichen Zweifel. Ich glaube, die Gewißheit ist das Ende des Denkens. Und ich fürchte immer, daß jedes System, das mit unserer Hilfe gestaltet wird, uns schließlich selbst zerstört. Das ist nicht leicht.«
Er war am Jarama dabeigewesen, in den Schlachten im Winter 1937- Welche Erinnerungen bewahrte er von jenen Tagen? Vor allem die körperlichen Empfindungen. »Dir kam Dunst aus dem Mund. Der eiskalte Wind biß dir die Augen aus. Wo sind wir? Das bringt dich im Krieg am meisten durcheinander. Du weißt nie genau, wo du bist. Ein Soldat hat keine Landkarte im Kopf. Ich wußte nicht, wo ich war. Sie befahlen uns Flankenmärsche, Vorstöße ins Nichts, wir sollten ausschwärmen, damit uns die Bomben nicht trafen. Das brachte dich in der Schlacht am schlimmsten durcheinander. Kälte und Hunger waren der Alltag. Die Leute waren immer anders. Es fiel schwer, ein Gesicht oder ein paar Worte über den Tag hinaus im Gedächtnis zu behalten. Deshalb nahm ich mir vor, mich auf einen
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