Die Jahre mit Laura Diaz
waren vergessen. Obwohl sie am Morgen nach dieser Nacht fürchtete, daß die Zeit, die Nacht am Ende auch dieses Erlebnis verschlingen würde, wie schon alle Augenblicke ihres Lebens zuvor. Sie drückte sich an den Körper des Mannes, umarmte ihn hartnäckig, wie eine Efeuranke, stellte sich vor, wie es ihr ohne ihn ginge, wenn er fern und doch unvergeßlich wäre, sah sich selbst zu jenem möglichen, wenn auch ganz unerwünschten Zeitpunkt: der Zeit, in der nicht mehr er, sondern nur noch die Erinnerung an ihn da wäre; die Erinnerung an ihn würde sie für immer begleiten. Das war der Preis, den sie bezahlen mußte, und sie hielt ihn für gering im Vergleich zur Fülle des Augenblicks. Und doch konnte sie sich nicht die ängstliche Frage ersparen: Was bedeutet diese Geste, dieser Blick, diese Stimme ohne Anfang und Ende? Vom ersten Moment an wollte sie ihn nicht mehr verlieren.
»Warum bist du so anders als alle anderen?«
»Weil ich nur dich ansehe.«
Sie liebte das Schweigen, das auf die Vereinigung folgte. Vom ersten Mal an liebte sie dieses Schweigen. Es war das erhoffte Versprechen einer gemeinsam bewältigten Einsamkeit. Sie liebte den ausgewählten Ort, auch er war ein vorherbestimmter Ort. Der Ort der Liebenden. Ein Hotel neben einem schattigen, kühlen, verborgenen Park mitten in der Stadt. Das hatte sie sich gewünscht. Einen Ort, der unbekannt bleibt, eine geheimnisvolle Sinnenlust an einem Ort, den alle anderen, nur nicht die Liebenden, als etwas Gewöhnliches ansehen. Für immer liebte sie die schlanke, aber kräftige, ebenmäßige und leidenschaftliche, diskrete und wilde Gestalt dieses Mannes, als wäre der Körper ein Spiegel innerer Wandlungen, ein imaginäres Duell zwischen dem Schöpfergott und der schicksalhaft mit ihm verbundenen Bestie. Das Tier und die in uns hausende Gottheit. Nie hatte sie derart plötzliche Metamorphosen von der Leidenschaft zur Ruhe, von der Stille zur Glut, von der Gelassenheit zur Maßlosigkeit erlebt. Ein bereites, fruchtbares Paar, das sich immer wieder gegenseitig erriet. Sie sagte ihm, sie hätte ihn überall erkannt.
»Blindlings, im Dunkeln?«
Sie nickte.
Draußen tagte es, der Park umschloß das Hotel mit einer Wache aus Trauerweiden, und man konnte sich in den Labyrinthen der hohen Hecken und der noch höheren Bäume verlieren, deren raunende Stimmen, deren rauschende, sich wiegende Wipfel in die Irre führten, vom Weg abbrachten, wie die Liebenden hörten, dem Nahen so fern, dem Fernen so nah.
»Wann warst du einmal eine ganze Nacht nicht zu Hause?«
»Niemals, seit ich zurückgekommen bin.«
»Wirst du eine Ausrede gebrauchen?«
»Ich glaube ja.«
»Bist du verheiratet?«
»Ja.«
»Für welche Ausrede entscheidest du dich?«
»Ich habe bei Frida übernachtet.«
»Mußt du dich rechtfertigen?«
»Ich habe zwei Söhne.«
»Kennst du die englische Redensart: never complain, never explain?«
»Ich glaube, das ist mein Problem.«
»Daß du dich rechtfertigst oder nicht?«
»Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich nicht die Wahrheit sage. Und wenn ich sie sage, verletze ich alle.«
»Ist es nicht so, daß das zwischen dir und mir zu unserem Privatleben gehört und niemand einen Grund hat, etwas darüber zu erfahren?«
»Gilt das, was du sagst, für uns beide? Mußt du auch etwas verschweigen oder erzählen?«
»Ich frage dich nur, ob du nicht weißt, daß eine verheiratete Frau einen Mann erobern kann.«
»Das Gute ist, daß Frida einen Mexicana-Anschluß hat und wir Ericsson. Meinem Mann wird es schwerfallen, nachzuprüfen, was ich treibe.«
Er lachte über diese telefonischen Verwicklungen, und sie wollte ihn nicht fragen, ob er verheiratet war oder eine andere hatte. Sie hörte, wie er sagte, eine verheiratete Frau könne weiter Männer erobern, und seine Worte stürzten sie in eine erregende Verwirrung, eine beinahe noch nie dagewesene Versuchung, sich sehnsüchtig wieder in die starken, schlanken Arme zu flüchten, ins dunkle Körperhaar, zu den begierigen Lippen des Spaniers, ihres Hidalgos, ihres Geliebten, ihres mit einer anderen geteilten Mannes, das wußte sie jetzt, wenn er wußte, daß sie verheiratet war, stellte sie sich vor, daß auch er eine andere Frau hatte, ohne daß sie sie hätte verstehen oder sich vorstellen können, was für eine Beziehung hatte dieser Jorge Maura wohl mit jener Frau, die anwesend und abwesend war?
Laura Dïaz entschied sich für die Feigheit. Er sagte ihr nicht, wer oder wie die andere war. Sie
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