Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
Vom Netzwerk:
etwas zu gewinnen.‹ – ›Und wir‹, erinnerte ich ihn, ›haben immer etwas zu verlieren.‹ Er hat lange gelacht. Ich teilte den Zynismus dieses von Golßenau nicht, der in den Brigaden unter seinem Decknamen ›Renn‹ bekannt war. In diesem Krieg gab es zwei Ebenen: die Ebene seiner Großsprecher, Theoretiker, Denker und Strategen und jene der unermeßlich vielen Leute aus dem gemeinen Volk, die alles andere als gemein waren, sie waren großartig und bewiesen täglich ihre grenzenlose Tapferkeit, Laura, in der vordersten Feuerlinie bei allen großen Schlachten standen sie, in Madrid und am Jarama, in Brunete und Teruel, bei Mussolinis Niederlage in Guadalajara. Die vorderste Linie blieb niemals leer. Die Republikaner aus dem Volk stritten sich darum, wer als erster in den Tod gehen durfte. Kinder mit emporgereckter Faust, Männer ohne Schuhe, Frauen mit dem letzten Laib Brot zwischen den Brüsten, Milizsoldaten mit hocherhobenem, verrostetem Gewehr, sie alle kämpften im Schützengraben, auf der Straße, dem Land, keiner wich zurück, keiner verlor den Mut. Nie hat man Ähnliches erlebt. Ich war am Jarama, als der Kampf an Schärfe zunahm, nachdem tausend Afrikaner unter dem Befehl von General Orgaz eingetroffen waren, geschützt von den Panzern und Flugzeugen der nazistischen Legion Condor. Die russischen Panzer, die auf republikanischer Seite kämpften, hielten den faschistischen Vorstoß auf, und die Frontlinie zwischen den beiden Truppen bewegte sich in erbittertem Ringen hin und her, so daß sich die Lazarette mit Verwundeten und auch mit Fieberkranken füllten, wegen der von den Afrikanern eingeschleppten Malaria. Das war auf seine Art ein kurioses Zusammentreffen. Die Katholischen Könige hatten die Mauren im Namen der Reinheit des Blutes aus Spanien vertrieben, und nun kämpften sie an der Seite deutscher Rassisten gegen ein republikanisches, demokratisches Volk, das von den Panzern eines weiteren totalitären Despoten, Josef Stalin, unterstützt wurde. Beinahe intuitiv, aus Sympathie für die Liberalen und aus Ablehnung gegen die Renns und Togliattis freundete ich mich mit den beiden nordamerikanischen Brigadisten an. Sie hießen Jim und Harry. Harry war ein Junge aus New York, ein Jude, den zwei einfache Gründe zum Handeln veranlaßten: Haß auf den Antisemitismus und Glaube an den Kommunismus. Jim war komplizierter. Er war der Sohn eines bekannten New Yorker Journalisten und Schriftstellers und als sehr junger Mann eingetroffen –er mochte wohl gerade fünfundzwanzig sein –, er hatte Presseausweise und wurde von zwei berühmten Korrespondenten protegiert, von Vincent Sheean und Ernest Hemingway. Sheean und Hemingway wetteiferten miteinander um die Ehre, in Spanien an der Front zu sterben. ›Ich weiß nicht, wozu du nach Spanien gehst‹, sagte Hemingway zu Sheean, ›die einzige Reportage, die du dort zustande bringst, ist die über deinen eigenen Tod, und das würde dir nichts nützen, weil ich sie schreiben Sheean, ein brillanter, gutaussehender Mann, gab Hemingway sofort die Antwort: ›Berühmter wird die Geschichte über deinen Tod, und die schreibe ich.‹ Hinter ihnen kam Jim, der große, schlaksige, kurzsichtige Junge, und hinter Jim der kleine Jude Harry mit Sakko und Krawatte. Sheean und Hemingway berichteten über den Krieg, aber Jim und Harry blieben, um in ihm zu kämpfen. Der jüdische Junge glich seine körperliche Schwäche mit der Willensstärke eines Kampfhahns aus. Der große und schlaksige Jim verlor als erstes seine Brille und sagte lachend, man kämpfe besser, wenn man die Feinde, die man umbringen werde, nicht sehe. Beide hatten diesen sentimentalen, zynischen und vor allem selbstironischen New Yorker Humor. ›Ich will meine Freunde beeindrucken‹ sagte Jim. – ›Ich muß mir eine Biographie zulegen, die meine sozialen Komplexe kompensiert‹ sagte Harry. – ›Ich will die Angst kennenlernen‹ sagte Jim. – ›Ich will meine Seele retten‹, sagte Harry. Und beide: ›Schluß mit den Krawatten‹. Mit Bart und Handschuhen, in immer fadenscheinigeren Uniformen und mit voller Lautstärke sangen die beiden Lieder aus »The Mikado« von Gilbert and Sullivan (!) und sorgten für gute Laune in unserer Kompanie. Sie büßten nicht nur Krawatte und Brille ein. Sogar die Socken. Aber sie gewannen die Sympathie aller, der Spanier und der Brigadisten. Daß ein Kurzsichtiger wie Jim verlangte, in einer Nacht an der Spitze eines Erkundungstrupps loszuziehen, beweist dir den

Weitere Kostenlose Bücher