Die Jahre mit Laura Diaz
begegneten sich ganz einfach. Später würde sie sich sagen, daß sie im voraus auf das Ereignis eingestellt gewesen war, und doch, als sie ihn zum erstenmal sah, schien alles völlig unerwartet. Sie tauschten keine Blicke aus, ihre Blicke saugten sich vielmehr in den Augen des anderen fest. Sie fragte sich: Warum unterscheidet sich dieser Mann von allen anderen? Und er antwortete wortlos, während sie und er durch ungefähr hundert Festgäste getrennt wurden: Weil ich nur dich ansehe.
»Weil er nur mich ansieht.«
Sie spürte das Verlangen wegzulaufen, eine derart plötzliche, aber auch so allgewaltige Anziehungskraft erschreckte sie, das Ungewöhnliche der Begegnung alarmierte sie, der Gedanke an die Folgen: Sie dachte an Leidenschaft, Hingabe, Schuld, Gewissensbisse, den Mann, die Kinder; es stimmt nicht, daß dies alles erst nach den Ereignissen kam, unfreiwillig und augenblicklich ging es ihnen voraus, es war wie in einem Saal, in den sich die Geister der Familie setzten, um sich zu besprechen und in aller Ruhe über sie zu urteilen.
Sie dachte an Weglaufen. Sie wollte fliehen. Er näherte sich ihr, als erriete er ihre Gedanken, und sagte: »Bleib noch ein bißchen.«
Sie sahen einander in die Augen. Er war so groß wie sie, weniger groß als ihr Mann, und noch bevor er das erste Wort an sie richtete, spürte sie, daß er sie respektvoll behandeln würde, wenn er sie duzte, so war das nur der gewöhnliche spanische Umgangs-ton. Er hatte einen kastilischen Akzent, und auch sein Aussehen ließ auf einen Kastilier schließen, er konnte nicht über die Vierzig hinaus sein, sein Haar allerdings war vollständig weiß und bildete einen Gegensatz zu der glatten Haut, die nur zwischen den Brauen deutliche Falten hatte. Der Blick, das harmlose Lächeln, das geradlinige Profil, die höflichen, aber leidenschaftlichen Augen. Sehr helle Haut und sehr schwarze Augen. Sie wollte sich so sehen, wie er sie sah. »Bleib noch ein bißchen.« »Wenn du es so willst«, sagte sie impulsiv. »Nein.« Er lachte. »Ich schlage es nur vor.« Vom ersten Augenblick an erkannte sie ihm drei Vorzüge zu. Zurückhaltung, Diskretion und Unabhängigkeit, dazu tadellose gesellschaftliche Umgangsformen. Er war kein Mexikaner aus der wohlhabenden Schicht wie so viele, mit denen sie auf der Hazienda San Cayetano und bei den Cocktails Carmen Cortinas zusammengekommen war. Er war Spanier und aus ebenfalls besseren Kreisen, und in seinem Blick gab es eine Schwermut und in seinem Körper eine Unruhe, die sie faszinierten, sie erregten und aufforderten, ein Geheimnis zu ergründen, und sie fragte sich, ob das nicht der raffinierteste Trick des »Hidalgos« war – diesen Spitznamen gab sie ihm sofort : daß er sich vor der Welt als ein Rätsel darstellte.
Sie wollte den Blick des Mannes erkunden, den Grund der tief im Schädel, nahe beim Knochen, beim Gehirn liegenden Augen erreichen. Das weiße Haar hellte den dunklen Blick auf, wie es auch die mestizischen Gesichter in Mexiko heller erscheinen ließ; ein braunhäutiger junger Mann konnte durch weißes Haar zu einem papierfarbenen Greis werden, als würde die Haut von der Zeit ausgebleicht.
Der »Hidalgo« schenkte ihr einen anbetenden, schicksalhaften Blick. Als sie in jener Nacht zusammen in einem Bett des Hotels L'Escargot am Parque de la Lama lagen, liebkosten sie sich langsam und ausdauernd, die Wangen, das Haar, die Schläfen. Sie müsse ihn beneiden, sagte er, weil er ihr Gesicht in so unterschiedlichen Positionen und vor allem im hellen Glanz der Minuten betrachten könne, die sie gemeinsam verbrachten; was mache das Licht mit einem Frauengesicht, wie hänge das Gesicht einer Frau von der Stunde des Tages ab, vom Licht der Dämmerung, des Morgens, Mittags, Nachmittags, Abends und der Nacht, was bedeute es im Gesicht einer Frau, das Licht, das sie bescheine, ihr Profil nachzeichne, sie von unten überrasche und von oben kröne, sie ohne jede Warnung brutal überfalle oder sanft im Halbdunkel liebkose, fragte er sie, und sie hatte keine Antwort, wollte keine finden, fühlte sich bewundert und beneidet, denn er stellte all die Fragen, die sie sich von einem Mann immer gewünscht hatte, Fragen, die jede Frau wenigstens einmal im Leben von einem bestimmten Mann hören wollte.
Sie dachte nicht mehr an Minuten und Stunden, von dieser Nacht an lebte sie mit ihm in der zeitlosen Zeit der Liebesleidenschaft, einem Wirbel, der alle Sorgen des Lebens weit aus dem Bewußtsein verbannte. Alle Szenen
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