Die Jahre mit Laura Diaz
heldenhaften Wahnsinn unseres Krieges. Harry war vorsichtiger: ›Man muß heute überleben, damit man morgen weiterkämpfen kann.‹ Am Jarama waren wir es, die Spanier, die den Kampf geführt haben, und das trotz der deutschen Flugzeuge, der russischen Panzer und der Internationalen Brigaden. Harry erkannte das an, aber er fügte hinzu: Es waren kommunistische Spaniern Er hatte recht. Anfang 1937 war die Kommunistische Partei von zwanzigtausend auf Zweihunderttausend Mitglieder angewachsen, und im Sommer hatte sie schon eine Million Anhänger. Die Verteidigung Madrids hat ihnen diese Größe, dieses Ansehen gegeben. Die Politik Stalins sollte sie ihnen schließlich wieder nehmen. Der Sozialismus hat keinen schlimmeren Feind als Stalin gehabt. Doch Harry sah nur den Sieg des Proletariats und seiner kommunistischen Avantgarde. Er diskutierte den ganzen Tag, er hatte die ganze marxistische Literatur gelesen. Er betete sie wie die Bibel herunter und beendete seine Reden immer mit demselben Satz: ›We'll see tomorrow.‹ Das war sein Dominus vobis-cum. Für ihn war die Verurteilung und Hinrichtung eines so geradlinigen Kommunisten wie Bucharin nicht mehr als ein Zwischenfall auf dem Weg in die ruhmreiche Zukunft. Harry, Harry Jaffe, war ein rastloser, hochintelligenter, körperlich schwacher und moralisch unentschiedener Mann, weil er die Schwäche einer kritiklosen politischen Überzeugung nicht kannte. Aus all diesen Gründen unterschied er sich deutlich vom Riesen Jim, für den alle Theorie bedeutungslos war. ›Ein Mann weiß, wann er recht hat‹, sagte Jim. ›Und er muß dafür kämpfen. Das ist ganz einfach. Hier und jetzt hat die Republik recht, und nicht die Faschisten. Man muß auf der Seite der Republik stehen, nichts weiter.‹ Sie waren wie Quijote und Sancho, und ihre Gefilde von Montiel hießen Brooklyn und Queens. Nun ja, eher wirkten sie wie Mutt und Jeff, nur daß sie jung und ernst waren. Ich erinnere mich, wie Harry und ich rauchten und diskutierten, während wir uns auf das Geländer mitten auf einer Brücke lehnten, immer getreu der Annahme, daß die Faschisten keine Verkehrswege angriffen. Jim dagegen war immer auf Aktionen versessen, er bat um die gefährlichsten Posten, ging in die erste Feuerlinie, ›um nach meiner verlorenen Brille zu suchen‹, wie er im Spaß sagte. Er war ein lächelnder, unglaublich höflicher Riese, der sich immer taktvoll äußerte. (›Grobe Ausdrücke überlasse ich meinem Vater, die habe ich so oft von ihm gehört, daß sie für mich die Kraft verloren haben, in New York gibt es eine öffentliche Sprache des Journalismus, des Verbrechens, der rohen Wetten und eine andere, geheime Sprache der Sensibilität, der rücksichtsvollen Wertschätzung und der glücklichen Einsamkeit. Ich will von hier heimkehren, um in der zweiten Sprache zu schreiben, George old boy, aber mein Vater und ich, in Wirklichkeit ergänzen wir uns, er ist mir für meine Sprache dankbar und ich ihm für seine, what the fuck! ‹ erklärte der schlaksige, tapfere Riese lachend.) Zusammen mit ihm kletterte ich auf Bäume, um die Felder Kastiliens zu betrachten. Inmitten der Wunden, die der Krieg auf dem Leib der Erde hinterläßt, entdeckten wir eine Herde Schafe, Mühlen, nelkenfarbene Abende, rosige Morgenstunden, wohlgeformte Mädchenbeine, Ackerfurchen, die darauf warteten, daß sich die Schützengräben wie Narben schlössen. ›Das ist das Land von Cervantes und Goya‹, sagte ich zu ihm, ›niemand kann es töten‹. – ›Nein. Und es ist auch das neue Land Homers‹, antwortete er, ›ein Land, das zugleich mit der rosenfingrigen Morgenröte und dem verhängnisvollen, verderblichen Zorn der Menschen geboren wird.‹
Eines Tages kehrte Jim nicht zurück. Harry und ich warteten die ganze Nacht auf ihn, zuerst sahen wir uns an, ohne etwas zu sagen, dann witzelten wir: ›Diesen Gringo kann der Whisky umbringen, aber niemals das Schießpulver.‹ Er kam nie zurück. Wir alle wußten, daß er tot war, an einer Front wie der vom Jarama wurde jemand, der innerhalb von zwei Tagen nicht wieder auftauchte, für tot erklärt. Die Lazarette informierten in spätestens achtundvierzig Stunden über die Verwundeten. Die Meldungen über die Toten brauchten länger, und an der Front betrugen die Verluste täglich mehrere hundert Männer. Aber alle fragten weiter nach ihm, als wäre er nur vermißt oder vorübergehend nicht da. Harry und ich merkten nun erst recht, wie sehr ihn alle ins Herz geschlossen
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