Die Jahre mit Laura Diaz
hatten, die übrigen Brigadisten genauso wie die republikanische Truppe. Er hatte sich aus tausend Gründen beliebt gemacht, sagten wir uns in der Rückschau, die uns erlaubte, angesichts des Todes das zu sehen und zu sagen, was wir nie sehen oder hatten sagen können, solange er lebte. Wir sind immer schlechte Zeitgenossen und gute Hinterbliebene, Laura. Nur ich wußte, wie ich zunächst dachte, daß Jim tatsächlich tot war, und sprach weiter von ihm wie von einem Lebenden, um Harry und die übrigen Genossen nicht zu entmutigen, die den großen, höflichen Amerikaner so gern hatten. Dabei wußten alle, wie ich bald herausfand, daß er tot war, und alle logen einträchtig und behaupteten, daß unser Genösse immer noch lebe.
›Hast du Jini nicht gesehen?‹
›Doch, er hat sich von mir am Morgen verabschiedete
›Er hatte Befehle. Einen Auftrage
›Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, ihm mitzuteilen, daß wir auf ihn warten.‹
›Er hat mir gesagt, daß er es weiß.‹
›Was hat er dir gesagt?‹
›Ich weiß, daß ihr alle auf mich wartete
›Das weiß er bestimmt. Wir warten hier auf ihn. Niemand soll behaupten, daß er tot ist.‹
›Hier, heute ist die Brille mit der Post gekommen, auf die er so gewartet hat.‹«
Jorge Maura umarmte Laura. »Wir haben uns in der Geschichte geirrt, ich will nichts anerkennen, was unseren Glauben zerstört, wie gern sähe ich, daß wir alle Helden wären, wie gern möchte ich den Glauben bewahren.«
An diesem Morgen lief Laura Dïaz zu Fuß durch die Avenida Insurgentes bis zu ihrem Haus in der Colonia Roma. Mauras erregtes Zittern ging nach wie vor wie ein Schauer durch ihren Körper. Es war bedeutungslos, daß ihr der Spanier nichts über sein Privatleben erzählt hatte. Er hatte ihr alles über sein öffentliches Leben gesagt: Wie gern sähe ich, daß alle unsere Leute so heldenhaft wären. Wie gern wäre ich selbst eine Heldin. Doch nach dem, was Jorge erzählt hatte, wußte sie, daß Heldentum nicht allein von einer freien Willensentscheidung abhängt, sondern eine Reaktion auf vorstellbare, aber unvorhergesehene Umstände ist. In ihrem eigenen Leben gab es nichts Heldenhaftes. Vielleicht könnte sie eines Tages, mit Hilfe ihres spanischen Liebhabers, auf die Herausforderung des Heldentums antworten.
Juan Francisco… Er saß jetzt womöglich auf dem Ehebett, vielleicht wartete er auf sie, vielleicht auch nicht mehr; und er hatte das offensichtliche Recht, ihr Vorwürfe zu machen. »Um unsere Kinder Santiago und Danton mußte ich mich allein kümmern. Doch ich frage dich nicht, wo du gewesen bist…« Er war an sein eigenes Wesen gebunden, an die letzte Stütze seiner Ehre, sein Versprechen, sie nie wieder zu verurteilen. Was sollte sie ihm nach viertägiger unerklärter und unerklärlicher Abwesenheit sagen, außer dem, was nur Laura Dïaz und Jorge Maura erklären konnten: Die Zeit zählt nicht für die Liebenden, Leidenschaft läßt sich nicht mit der Uhr messen?
»Ich habe den Jungen gesagt, daß deine Mutter krank geworden ist und du nach Xalapa fahren mußtest.«
»Danke.«
»Nichts weiter?«
»Was ist dir lieber?«
»Betrug läßt sich am schwersten aushaken, Laura.«
»Meinst du, ich fühle mich im Recht, alles zu tun?«
»Warum? Weil ich einmal eine Frau angezeigt und dich geschlagen habe und später einen Detektiv beauftragt habe, dich zu überwachen?«
»Nichts davon gibt mir das Recht, dich zu betrügen.«
»Was dann?«
»Heute hast du anscheinend alle Antworten bereit. Antworte dir selbst.«
Juan Francisco würde sich von seiner Frau abwenden, um ihr zerknirscht zu sagen, daß nur eines ihr alles Recht der Welt gebe, das Recht, ihr eigenes Leben zu leben, ihn zu betrügen und zu demütigen, und dabei gehe es nicht um so etwas wie einen Sportwettkampf, bei dem jeder Tore gegen den anderen erziele, bis der eine mit dem anderen gleichziehe, nein, nichts derart Einfaches würde der große, dunkelhäutige, gealterte Mann in seiner unerträglichen Art sagen, sondern ein gebrochenes Versprechen, eine Enttäuschung äußern: »Ich bin nicht der, für den du mich gehalten hast, als du mich auf dem Ball im Casino kennenlerntest, als ich mit dem Ruhm eines tapferen Revolutionärs auftauchte. Ich bin kein Held.«
Aber das warst du früher einmal, wollte Laura protestieren und zugleich fragen, nicht wahr, das warst du einmal? Er würde verstehen und antworten, als hätte sie die Frage gestellt: Wie kann man das verlorene Heldentum bewahren,
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