Die Jahre mit Laura Diaz
wenn es das Alter und die Umstände nicht mehr zulassen?
»Ich unterscheide mich nicht allzusehr von allen übrigen. Wir alle haben für die Revolution und gegen die Ungerechtigkeit gekämpft, aber auch gegen das Unglück, Laura, wir wollten nicht weiter arm, erniedrigt und rechtlos sein. Ich bin keine Ausnahme. Sieh sie dir an: Galles war ein armer Dorfschullehrer, Morones ein Telefonist, dieser neue Fidel Veläzquez ist ein Milchhändler, und die übrigen Führer waren Bauern, Zimmerleute, Elektriker, Eisenbahner – wie sollten die so etwas nicht ausnutzen und die Gelegenheit nicht beim Schöpfe packen? Weißt du, was es heißt, wenn man als Heranwachsender ständig Hunger hat, wenn sechs in einer Hütte zusammen schlafen, wenn die Hälfte der kleinen Geschwister schon in der Kindheit stirbt und die Mutter mit dreißig Jahren eine alte Frau ist? Sag mir, ob du nicht verstehst, daß ein Mann, der in Pénjamo geboren wurde und in dessen Hütte das Dach einen Meter von seiner Matte entfernt war, ein Haus in Polanco haben will, wo das Dach zehn Meter über seinem Kopf ist? Sag mir, ob Morones nicht recht hatte, als er seiner lieben Mama ein großes kalifornisches Haus schenkte, wenn es auch gleich neben dem lag, in dem der Führer seinen Harem von Huren untergebracht hatte? Caramba, um ein ehrlicher Revolutionär zu sein, das siehst du ja, wie dieser Roosevelt in den Vereinigten Staaten, muß man zuerst einmal reich werden. Wenn du zu Hause eine Matte und eine Röstplatte für den Mais hattest, Mädchen, willst du nie mehr in die Welt der Flöhe zurück und vergißt sogar die, die du hinter dir gelassen hast, du richtest dich im Fegefeuer ein, Hauptsache, du mußt nie wieder in die Hölle, und die anderen im Himmel, den du verraten hast, sollen denken, was sie wollen. Was denkst du von mir? Sag mir die Wahrheit, Laura, die reine Wahrheit…«
Daß sie keine Antworten hatte, sondern nur Fragen. Was hast du getan, Juan Francisco? Hast du es einfach irgendwann satt bekommen, ein Held zu sein? War dein Heldentum eine Lüge? Warum hast du mir nie über deine Vergangenheit erzählt? Wolltest du mit mir noch einmal von vorn anfangen? Hast du geglaubt, ich würde mich beleidigt fühlen, wenn du dich selber lobst? Hast du gehofft, daß andere das an deiner Stelle tun würden, wie es ja auch geschehen ist? Daß andere mir ständig mit deiner Heldenlegende in den Ohren liegen würden, ohne daß du sie herausstreichen, richtigstellen oder verleugnen müßtest? Reichte es dir, daß ich hörte, was die anderen über dich sagten, war das mein Beweis, daß ich den anderen glaubte und dir vertraute, wobei ich mehr als nur irgendwelche Kenntnisse hätte, sondern dazu noch die reine, blinde Liebe? Denn so hast du mich behandelt, als deine kleine, treue, stille Frau, die im Wohnzimmer nebenan strickte, während du mit den wichtigen Köpfen im Eßzimmer die Zukunft Mexikos plantest, erinnerst du dich? Sag mir, welche von deinen Mythen soll ich an unsere Kinder weitergeben, die ganze Wahrheit, die halbe Wahrheit, den Teil deines Lebens, den ich für gut halte, den Teil, den ich für schlecht halte, welcher Teil des Vaters soll Danton gehören und welcher Santiago?
»Was von deinem Leben ist für das Leben deiner Kinder am wichtigsten?«
»Weißt du was, Laura? Im Katechismus schreiben sie von der Erbsünde, und daß wir deshalb sind, wie wir sind.«
»Ich glaube nur an ein ursprüngliches Geheimnis. Was für eines hast du?«
»Bring mich nicht zum Lachen, du kleine Närrin. Solange es ein Geheimnis ist, darf es niemand kennen.«
Allein die Zeit, aufgelöst wie Rauch, würde die Wahrheit des aus Tabasco stammenden Arbeiterführers Juan Francisco Lopez Greene offenbaren, das stellte Laura sich vor, als sie an jenem Märzmorgen aus dem Parque de la Lama heimlief, noch ganz von der Liebe eines vollständig anderen, inbrünstig begehrten Mannes durchdrungen: Jorge Maura ist mein wahrer Mann, Jorge Maura hätte der wahre Vater meiner Kinder sein müssen. Sie war entschlossen, nach Hause zu kommen und ihrem Mann zu sagen: Ich habe einen Geliebten, er ist ein wunderbarer Mann, für ihn gebe ich alles her, für ihn lasse ich alles im Stich, ich verlasse dich, meine Kinder.
Das wollte sie ihm sagen, noch bevor die Jungen aus der Schule kamen. Doch sie hatten schulfrei, und alle gingen zum Zocalo, um die Verstaatlichung des Erdöls durch Präsident Cardenas zu feiern, einen mutigen Revolutionär, der den ausländischen Unternehmen
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