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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Schuhe. Sie mußten glänzen. Eine Kontrolle war nicht nötig.
    Der dritte Santiago stellte die Marschroute nicht in Frage, die sein Vater für ihn geplant hatte; bis er sich in Lourdes verliebte und Danton mit jener Brutalität und jenem mangelnden Feingefühl reagierte, die der Sohn seinem Vater fortan vorwarf, den er liebte und dem er dankbar war für alles, was er ihm gab, das Monatsgeld, den Renault, die American-Express-Karte – eine Neuheit (allerdings mit Kreditlimit) – die Erlaubnis, sich Anzüge bei Macazaga machen zu lassen (obwohl Santiago lieber Lederjacken und Jeans trug), ohne die Beweggründe, Taten und Rechtfertigungen oder das fatalistische »so ist es nun einmal« kritisch zu prüfen, das die Worte seines Vaters inspirierte, eines Mannes, der sich auf seine sichere wirtschaftliche Position und seine persönliche Moral stützte. Darauf konnte er sich verlassen, und so sagte er zu seinem Sohn: »Du gehst meinen Weg weiter«, und zur Freundin seines Sohns: »Du bist nur ein hinderlicher Stein auf seinem Weg, verschwinde, oder ich schaffe dich mit Fußtritten weg.«
    Die Haltung des Vaters empörte den jungen Santiago, und nach der anfänglichen ungeheuren Wut kam er auf Dinge, die ihm früher nie eingefallen wären. Santiago entdeckte seine eigene Moral und sah, daß auch Lourdes sie entdeckt hatte; sie würden nicht zusammen schlafen, bis sie die Lage endgültig geklärt hatten, sie würden niemanden mit einem versehentlich gezeugten Kind oder einer als Herausforderung benutzten Sexualität »erpressen«. Santiago dachte nun vielmehr darüber nach: Wer ist mein Vater eigentlich? Womit erreicht er diese absolute Macht und dieses Selbstvertrauen?
    Er sagte zu Lourdes: »Wir werden klüger sein als er, Liebste, wir wollen uns nicht mehr täglich sehen, nur heimlich Freitag abends, damit der Alte nichts herausbekommt.«
    Santiago antwortete Danton, in Ordnung, er werde Jura studieren, aber er wolle auch praktische Erfahrungen sammeln und in den Büros seines Vaters arbeiten. Danton ließ sich von seiner Freude verblenden. Er dachte nicht an ein Risiko, als er seinen eigenen Sohn in die Amtsräume des Gemeinsamen Büros der Vereinigten Handelsvertreter, des GBVH, einführte, eines glänzenden Gebäudes aus Glas und rostfreiem Stahl am Paseo de la Reforma, wenige Meter von der Kolumbus-Statue und dem Revolutionsdenkmal entfernt. Vorher hatte dort ein Haus gestanden, das – mit seinen Mansarden und allem übrigen im Pariser Stil erbaut – mitten in Mexico-Stadt auf Schnee wartete, es hatte dem Dickarsch del Rosal gehört, dem alten porfiristi-schen Aristokraten, der sich bei Carmen Cortinas Soireen den Scherz erlaubte, sein Monokel (aus Gelatine) zu verschlingen. Doch La Reforma, jene Promenade, die Kaiserin Charlotte geplant hatte, um ihre Residenz im Schloß von Chapultepec mit dem Stadtzentrum zu verbinden, und die Maximilians Gemahlin als eine Nachbildung der Avenue Louise ihres heimatlichen Brüssel entworfen hatte, wurde einer Avenue in Houston oder Dallas immer ähnlicher, es wimmelte dort mittlerweile von Wolkenkratzern, Parkhäusern und Fast-food-Gaststätten.
    Dort nun sollte Santiago als Praktikant arbeiten, sich in allen Etagen umsehen, damit er die Geschäfte kennenlernte, schließlich war er der Sohn des Chefs.
    Er freundete sich mit dem Archivleiter an, einem Stierkampfliebhaber, dem er Eintrittskarten für die laufende Saison schenkte, die von Joselito Huerta und Manuel Capetillo beherrscht wurde. Er freundete sich mit den Telefonistinnen an, denen er Passierscheine für die Churubusco-Studios besorgte, damit sie Libertad Lamarque bei den Dreharbeiten sehen konnten, jene argentinische Tangosängerin, die Harry Jaffe in den Kinos von Cuernavaca zu sentimentalen Tränen gerührt hatte.
    Wer war diese Señorita Artemisa, die Don Danton täglich anrief, warum behandelte man sie so zuvorkommend, wenn Santiago nicht in der Nähe war, und warum mit soviel Geheimnistuerei, sobald der Sohn des Chefs auftauchte? Wem gegenüber verhielt sich sein Vater am Telefon derart respektvoll, daß es schon beinahe erniedrigend war – »Jawohl, Señor, wir sind dazu da, Ihnen zu helfen, Señor, wie Sie befehlen, Señor« –, ganz im Gegensatz zu seinem Ton all denen gegenüber, die nichts als schnelle, unerbittliche, trockene Anweisungen erhielten – »Das brauche ich auf der Stelle, Gutierritos, schlafen Sie nicht ein, hier ist kein Platz für faule Säcke, ich habe sowieso den Eindruck, daß Ihnen der

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