Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
Vom Netzwerk:
Sack bis zu den Kniekehlen runterhängt, was ist los mit Ihnen, Fonseca, sind Sie nicht aus den Federn gekommen oder was, ich erwarte Sie in fünfzehn Sekunden, oder Sie denken über einen anderen Job nach« –, und es gab auch ernstere Drohungen: »wenn Sie etwas für Ihre Frau und Ihre Kinder übrighaben, dann empfehle ich Ihnen, zu tun, was ich Ihnen sage, nein, ich gebe Ihnen keine Anweisungen, ich befehle es Ihnen, Leuten wie Ihnen befiehlt man, Sie brauchen bloß dran zu denken, Reynoso, daß ich die Dokumente habe, es würde reichen, wenn ich sie dem Excélsior gebe, damit Sie zum Teufel gehen.«
    »Wie Sie befehlen, Señor.«
    »Bringen Sie mir die Akte hoch, aber zack, zack!«
    »Mischen Sie sich nicht in Dinge ein, die Sie nichts angehen, Sie Scheißkerl, oder Sie wachen eines Tages mit abgeschnittener Zunge und den Eiern im Maul auf.«
    Je tiefer Santiago in das von seinem Vater beherrschte Labyrinth aus Metall und Glas eindrang, mit desto größerer Innigkeit und zugleich Begierde – zwei Namen des Verlangens, aber auch der Liebe – bemühte er sich um Lourdes' Zuneigung. Sie faßten sich im Kino bei den Händen, blickten sich in den Cafétérias tief in die Augen, küßten sich in Santiagos Wagen, gaben sich im Dunkeln einem Liebesspiel aus Berührungen hin – und warteten auf die Zeit, in der sie zusammenleben würden, um sich wirklich zu vereinen. Darin waren sie einer Meinung, so ungewöhnlich und manchmal sogar lächerlich es wirken mochte, wie es dem einen, dem anderen und manchmal allen beiden vorkam. Sie hatten etwas gemeinsam. Es erregte sie, den Akt hinauszuzögern. Sich einander in ihrer Phantasie vorzustellen.
    Wer war Señorita Artemisa?
    Sie hatte eine tiefe Stimme, die sie jedoch zu zuckersüßen Flötentönen erhob, wenn sie Danton am Telefon sagte: »Ich liehhh-be dich, mein kleiner Ton-Ton, ich liehhhbe dich, mein Süßer.« Santiago konnte sich vor Lachen kaum halten, wenn er, gänzlich unberechtigt, diesem Süßholzraspeln vom Nebenanschluß seines Vaters aus zuhörte, und noch mehr, wenn der gestrenge Don Danton zu seiner Süßen sagte: »Was sagt mein Tittchen, was fühlt meine kleine Eierräuberin, was ißt mein Miezchen, wenn ihr Schnäuzchen nach Pimmelchen schmeckt?« – »Wo ich meinen Schwanzsalat donnerstags doch nun mal so gern mag«, antwortete die heisere, professionell zärtliche Stimme.
    »Lourdes«, sagte Santiago zu seiner Freundin, »die Sache entwickelt sich prächtig, bald kriegen wir heraus, wer diese Artemisa ist und wonach sie wirklich schmeckt, Ehrenwort. Mein Alter hat es faustdick hinter den Ohren!«
    Er dachte nicht an die Untreue gegenüber der vernachlässigten Dona Magdalena, Santiago war kein Puritaner. »Aber ich bin neugierig, Lourdes.« – »Ich auch«, lachte das Mädchen aus Oaxaca, während die beiden an einem Donnerstagabend darauf warteten, daß Danton aus dem Büro kam. Ganz allein, ohne Chauffeur, stieg der Papa in seinen unauffälligen Chevrolet und fuhr zur Calle Darwin in der Colonia Nueva Anzures, und Santiago und Lourdes verfolgten ihn in einem Ford, den sie gemietet hatten, um sich zu tarnen.
    Danton parkte den Wagen und betrat ein Haus, dessen Eingang mit Gipsstatuen von Apollo und Venus geschmückt war. Die Tür schloß sich, und dann herrschte geheimnisvolle Stille. Nach einer Weile hörte man Musik und Gelächter. Lichter gingen in unregelmäßigen Abständen an und aus.
    Sie kamen an einem Morgen wieder, als ein Gärtner die Hecken vor dem Haus beschnitt und ein Dienstmädchen die der Liebe geweihten Statuen abstaubte. Die Eingangstür stand halb offen. Lourdes und Santiago sahen etwas von einem normalen bürgerlichen Salon mit Brokatsesseln und Blumenvasen voller Callas, mit Marmorfußboden und einer Treppe wie in einem mexikanischen Film. Einen Augenblick später erschien oben auf der Treppe ein hochmütiger junger Mann mit sehr kurz geschnittenem Haar, seidenem Hausrock und Halstuch, und mit einer extravaganten Geste zog er sich weiße Handschuhe an.
    »Was wollen Sie?« fragte er mit einer weit hochgereckten und stark ausgezupften Braue, die im Gegensatz zu seiner heiseren Stimme stand. »Wer sind Sie?«
    »Pardon, wir haben uns in der Adresse geirrt«, sagte Lourdes.
    »Proleten«, murmelte der Mann mit den Handschuhen.
    »Ich nehme an, das dürfen Sie«, sagte der Archivleiter des GBVH zu Santiago. »Kommen Sie nur herein, wo Sie der Sohn des Chefs sind.«
    Während sein Vater die Mahlzeiten im Focolare, Rivoli oder

Weitere Kostenlose Bücher