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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Laura Dïaz in Liebe, Schutz und Erinnerung gerettet wurden.
    Lourdes Alfaro erfüllte ihre Mutterpflichten, während sie Kundgebungen organisierte, um die politischen Häftlinge von 1968 freizukämpfen, und jene jungen Frauen unterstützte, die wie sie Witwen von Tlatelolco waren und kleine Kinder hatten. Diese Kinder brauchten Tagesstätten, Medikamente und Pflege, und sie sollten, das sagte Lourdes zu Laura, mit der lebendigen Erinnerung aufwachsen, daß sich ihre Väter geopfert hatten. Allerdings gab es auch Witwer, deren Frauen, junge Studentinnen, in Tlatelolco umgekommen waren.
    Auf diese Weise bildete sich eine Bruderschaft von Überlebenden des 2. Oktober, und wie zu erwarten war, entdeckte Lourdes unter ihnen einen sechsundzwanzigjährigen Mann, Jesus Anïbal Pliego, den sie sympathisch fand und in den sie sich verliebte. Er hatte erste Kenntnisse im Filmhandwerk erworben und verstand es, knapp geschnittene Szenen aufnehmen, Felder aus Schatten und Licht, blutrote Schleier, Echos von Maschinengewehrsalven in der Nacht von Tlatelolco, in der auch seine junge Frau starb, und der Witwer – hochgewachsen, dunkelhäutig, mit lockigem Haar, klarem Lächeln und offenem Blick – blieb allein mit Enedina zurück, einem wenige Monate alten Mädchen, das in dieselbe Tagesstätte kam, in die auch Lourdes ihren Sohn brachte, den vierten Santiago aus dem Geschlecht der Laura Dïaz.
    »Ich muß dir etwas sagen, Laura«, sagte Lourdes schließlich wie beiläufig, nachdem sie mehrere Wochen um die Großmutter ihres Mannes, die doch längst alles ahnte, herumgeschlichen war.
    »Du brauchst mir nichts zu sagen, meine Liebe. Du bist für mich wie eine Tochter, und ich verstehe alles. Ich kann mir kein besseres Paar als dich und Jesus Anibal vorstellen. Euch vereint alles. Wenn ich eine Kirchgängerin wäre, würde ich euch meinen Segen erteilen.«
    Nicht nur ihre Liebe vereinte sie. Lourdes, die bei Laura viel gelernt hatte, konnte Jesus Anibal als Kamera-Assistentin immer besser unterstützen. Allerdings mußte Lourdes ihrer Großmutter Laura auch noch mitteilen, daß sie, ihr Mann und die beiden Kinder nach Los Angeles übersiedeln würden: Jesus Anibal hatte ein ausgezeichnetes Angebot von einer amerikanischen Filmfirma bekommen, in Mexiko gab es wenig Chancen, die Regierung Dïaz Ordaz hatte Jesus Anibals Filme über Tlatelolco beschlagnahmt.
    »Du mußt mir nichts erklären, meine Liebe.Tu einfach so, als ob ich nichts von solchen Sachen verstünde.«
    Die Wohnung an der Plaza Rio de Janeiro war vereinsamt.
    Der vierte Santiago hinterließ kaum eine Spur im Gedächtns seiner Urgroßmutter. »Wenn ich mich selbst Urgroßmutter nenne, macht mich das stolz und zufrieden, es tröstet und bekümmert, ängstigt und betrübt mich, und es überzeugt mich mit der frohen Botschaft, daß ich endlich meine Eitelkeit überwinden konnte – ich bin Urgroßmutter! –, aber auch, daß ich es erreicht habe, meine drei ersten Santiagos im Tod zu neuem Leben zu erwecken, dem, der in Veracruz erschossen wurde, dem, der in der Hauptstadt gestorben ist, und dem, der in Tlatelolco ermordet wurde, für immer werde ich mit ihnen verbunden sein, mit ihnen und dem lebenden, der nach Los Angeles gezogen ist, mein kleiner Gastarbeiter, ich lache gleich, mein kleiner Windelträger, dich kann ich niemals mit den Handtüchern trockenreiben, die mir meine Mutter Leticia geschenkt hat, als ich geheiratet habe. Wie lange sich manche Sachen halten!«
    Für Laura Dïaz bedeutete es kein Problem, allein zu leben. Sie war weiter gelenkig und fleißig, fand Vergnügen an kleinen Verrichtungen, wie etwa, daß sie das Bett machte, Wäsche wusch und aufhängte, um »kerngesund« zu bleiben, wie sie Orlando gesagt hatte. Sie erledigte ihre Einkäufe im neuen Aurrerâ-Supermarkt, wie sie früher als junge Ehefrau zum alten Pariän-Markt an der Avenida Ălvaro Obregõn gegangen war. Spät trat sie nun das Erbe ihrer Mutter Leticia an, die Freude an der Kochkunst, entdeckte alte Veracruzaner Rezepte wieder, Bohnen mit Reis, Fleischeintopf mit Chili, Zwiebeln und Tomaten, Tamal-Mais-pasteten nach Art der Küstenregion, gefüllte Krabben, Tintenfische in ihrer Tinte, den in einem Meer aus Zwiebeln, Oliven und Tomaten schwimmenden Huachinango, starken, heißen Kaffee, wie man ihn im Café de la Parroquia serviert hatte, um die Hitze zu vertreiben, dem Rat von Dona Leticia Kelsen de Dïaz entsprechend, und als wäre es gerade aus einem anderen berühmten Café – dem

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