Die Jahre mit Laura Diaz
herrschte?
»Angst wovor?« wiederholte Laura laut.
Die beiden setzten sich auf das blaue Velourssofa, das Laura aus der Avenida Sonora mitgenommen hatte. Magdalena sah sich in dem unaufgeräumten Zimmer um, musterte die aufgestapelten Zeitschriften, Bücher und Papiere, die Zeitungsausschnitte und Fotos, die mit Reißzwecken an Pinnwänden befestigt waren. Laura begriff, daß die Frau zum ersten Mal den Raum betrachtete, den ihr Sohn verlassen hatte, um in den Tod zu gehen. Lange sah sie das Bild Adams und Evas an, das Santiago der Jüngere gemalt hatte.
»Das müssen Sie doch wissen, Dona Laura.«
»Sag ›Laura‹ und ›du‹ zu mir, um Himmels willen!« Laura Dïaz tat so, als wäre sie außer sich.
»In Ordnung. Du mußt wissen, daß ich nicht bin, wonach ich aussehe. Ich bin nicht, was du glaubst. Ich bewundere dich.«
»Es wäre besser gewesen, wenn du deinen Sohn etwas mehr geliebt und bewundert hättest«, sagte Laura ruhig.
»Genau das solltest du wissen.«
»Wissen?« entgegnete Laura in zweifelndem Ton.
»Du hast recht, wenn du an mir zweifelst. Aber darauf kommt es nicht an. Du bist die einzige, die ich in meine Wahrheit einweihen kann.«
Laura sagte nichts, doch sie blickte ihre Schwiegertochter aufmerksam an.
»Kannst du dir vorstellen, was ich empfunden habe, als sie Santiago umgebracht haben?« fragte Magda.
Laura spürte, wie an ihrem Gesicht ein Blitz vorbeizuckte. »Während der Olympiade, als das Blut deines Sohns noch nicht getrocknet war, habe ich dich und Danton in der Präsidentenloge gesehen.«
Magdalenas Blick war eine flehentliche Beschwörung.
»Bitte, Laura, stell dir meinen Schmerz vor, meine Beschämung, meine Wut, wie schwer es mir fiel, sie zu beherrschen. Aber die Gewohnheit, meinem Mann zu gehorchen, war stärker als mein Schmerz und mein Mut, und am Ende habe ich ihm wie immer nachgegeben…«
Sie sah Laura direkt an.
»Das alles sollst du wissen.«
»Ich habe immer versucht, mir vorzustellen, was zwischen dir und Danton passiert ist, als Santiago starb.« Laura wollte Mag-dalenas Gedanken erraten.
»Gerade das ist ja das Schlimme. Es ist nichts passiert. Er hat sein Leben weitergeführt, als wäre nichts geschehen.«
»Dein Sohn war tot. Und du warst am Leben.«
»Ich war schon tot, bevor mein Sohn starb. Für Danton hat sich nichts geändert. Allerdings, es hat ihn enttäuscht, als sich sein Sohn gegen ihn gestellt hat. Als er dann starb, brauchte Danton nur noch zu sagen, das hat er sich selber eingebrockt.«
Dantöns Frau fuchtelte mit den Händen, als zerrisse sie einen Schleier.
»Laura, ich bin gekommen, um mich dir anzuvertrauen. Ich habe sonst niemanden. Ich halte es nicht mehr aus. Ich muß offen mit jemandem reden, und nur du bleibst mir. Nur du kannst verstehen, wie verletzt ich mich fühle, all die Enttäuschungen und Schmerzen, die sich seit Jahren in meinem Innern angestaut haben.«
»Du hast es überstanden.«
»Glaube nicht, ich hätte keinen Stolz, so nachgiebig ich dir auch vorkommen mag, glaube mir, nie habe ich meinen persönlichen Stolz verloren, ich bin Frau, Gattin und Mutter, und ich fühle mich stolz, das zu sein, selbst wenn Danton seit Jahren nicht mehr in mein Bett kommt. Laura, du mußt verstehen, daß ich gerade deshalb so wütend und stolz bin, und das trotz meiner Nachgiebigkeit. «
Sie machte eine kurze Pause.
»Ich bin nicht das, wonach ich aussehe«, sagte sie noch einmal. »Und ich habe geglaubt, du allein könntest mich verstehen.«
»Warum, Tochter?« Laura streichelte Magdas Hand.
»Weil du dein Leben frei gelebt hast. Darum kannst du mich verstehen. Es ist ganz einfach.«
Laura hätte ihr beinahe gesagt: Was kann ich für dich tun, nun, da für mich bald der Vorhang fällt? Es ist genau wie mit Orlando. Warum erwarten alle von mir, daß ich ihnen die letzte Szene ihres Dramas schreibe?
Statt dessen faßte sie Magdalena am Kinn und fragte: »Glaubst du, es hat einen einzigen Augenblick in deinem Leben gegeben, in dem du allein, nur du und das ganz, die Verantwortung für dein Schicksal übernommen hast?«
»Ich nicht«, antwortete Magdalena überstürzt. »Du ja, Laura. Das wissen wir alle.«
Laura Dïaz lächelte. »Ich sage das nicht um deinetwillen, Magda. Ich sage es um meinetwillen. Ich bitte dich, daß du mir eine Frage stellst. Frage mich, Magdalena: Bist du selber, und das immer, deinen eigenen Ansprüchen gerecht geworden?«
»Nein, ich nicht«, stammelte Magdalena. »Natürlich nicht.«
»Du
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