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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Elizabeth.
    »Sei nicht vorlaut«, donnerte ihre Mutter. »Prägt euch die Namen der guten Gesellschaft ein. Wenn ihr sie vergeßt, vergessen sie euch.« Mitleidig sah sie die beiden Mädchen an. »Ihr armen Kleinen. Paßt genau auf, was die übrigen tun. Macht es wie sie, genau so!«
    Elizabeth schauspielerte übertrieben. »Genug, Mama! Du bringst mich ganz durcheinander, ich falle in Ohnmacht!«
    San Cayetano war eine Kaffeeplantage, doch letztlich nannten alle nur ihr Hauptgebäude so. Die Besitzer hatten die spanischen Traditionen aufgegeben und statt dessen seit den siebziger Jahren ein kleines Château nach französischem Vorbild errichtet; es lag inmitten eines Buchenwalds, nahe bei einem schäumenden Wasserfall und einem rauschenden, schmalen Fluß. Die klassizistische Fassade ruhte auf einer Säulenreihe mit Weinblattkapitellen.
    Das Herrenhaus hatte zwei Stockwerke, vor dem Eingang eine riesige Christpalme, einen leise plätschernden Springbrunnen und fünfzehn Stufen aus festgestampfter Erde, über die man zu der geschnitzten Tür des Erdgeschosses gelangte – in ihm lagen die Schlafzimmer, unterrichtete Leticia ihre Tochter. Eine elegante und breite Steintreppe führte in den ersten Stock, in dem sich die Empfangsräume befanden: Salons, Speisezimmer, vor allem aber, das war das Besondere an diesem Ort, eine große Terrasse, deren Ausmaße der halben Hausfläche entsprachen. Überdacht, aber auf drei Seiten – nach vorn, rechts und links – zum Freien hin offen und nur mit Balustraden versehen, wurde aus der Terrasse nachts ein großer, ungehindert von sanften Winden liebkoster Balkon, nachmittags schaukelte und schlummerte man auf ihm während sonniger Siestas.
    Hier konnten die Paare ausruhen, sich auf die Balustrade der wunderschönen Galerie stützen, plaudern und die Gläser absetzen, wenn sie tanzen wollten. Laura sollte sich ihr ganzes Leben über immer wieder an diesen Ort erinnern, ein Paradies, in dem man es bewußt genießen konnte, jung zu sein.
    Dona Genoveva Deschamps de la Trinidad, die legendäre Herrin dieser Hazienda und geistige Leitfigur der Provinzgesellschaft, erwartete ihre Gäste. Laura hatte mit einer großen, strengen, sogar hochmütigen Señora gerechnet, und statt dessen lernte sie eine kleine, aber kerzengerade Dame mit funkelndem Lächeln, Grübchen in den rosigen Wangen und freundlichen Augen kennen, die grau waren wie das elegante Kleid der Señora. Ganz offensichtlich hatte sich Señora Deschamps de la Trinidad gründlich mit »La Vie Parisienne« beschäftigt, denn ihr Kleid war noch moderner als Lauras, es verzichtete auf alle Arten von falschen Polstern und paßte sich mit seiner glänzenden grauen Seide der natürlichen Silhouette seiner Trägerin an. Dona Genoveva umhüllte die nackten Schultern mit einem zarten, ebenfalls grauen Gazeschleier, und alles harmonierte mit ihrem hartfunkelnden Blick und ließ ihre wasserklaren Edelsteine noch stärker glänzen.
    Obwohl Laura sich freute, daß ihre Gastgeberin eine derart liebenswürdige Frau war, sah sie doch auch, daß Señora Des-champs, bevor und nachdem sie jeden Gast herzlich begrüßte, ihn mit einer sonderbaren, beinahe schon berechnenden, richterlichen Kälte prüfte. Der Blick der reichen und vielbeneideten Dame besiegelte Anerkennung oder Mißbilligung. Beim nächsten Jahresball auf der Hazienda würde man erfahren, wer das Plazet erhalten hatte und wer durchgefallen war. Jener kalte – mal tadelnde, mal anerkennende – Blick währte nur wenige Sekunden, dann erstrahlte das funkelnde, liebenswürdige Lächeln für den nächsten Gast.
    »Richte deinen Eltern aus, es tut mir sehr leid, daß ich sie heute abend nicht begrüßen kann«, sagte Dona Genoveva und strich Laura leicht übers Haar, beinahe, als wollte sie eine zerzauste Locke zurechtzupfen. »Haltet mich auf dem laufenden, wie es Don Fernando geht.«
    Laura machte eine kleine Verbeugung, wie sie es bei den Señoritas Ramos gelernt hatte, und nun wollte sie jenen Ort entdecken, über den die Gesellschaft von Xalapa so oft und mit solcher Bewunderung sprach. Und zur Vorfreude kam das wahrhaftige Entzücken, das die blaßgrün gestrichenen Zimmerdecken in ihr hervorriefen, die Blumenornamente an den Wänden, die bunten Halbfenster und draußen, im Mittelpunkt des Festes, die Terrasse, eingefaßt von ihren mit Urnen geschmückten Balustraden, die Kapelle mit ihren Musikern im Smoking und das – vor allem jugendliche – Publikum, die jungen Männer im

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