Die Jahre mit Laura Diaz
lächelte, seine weißen Maiszähne und seine verschlagenen Chinesenäuglein zeigte.
Nun, da sich Laura im Spiegel betrachtete, so gerade aufgerichtet, »so bildhübsch«, wie ihre Mutter sagte, und sich für ihren ersten Ball in großer Garderobe fertigmachte, sah sie sich selbst plötzlich wieder unter der über ihr liegenden Matratze vor sich, hörte die Schießerei auf den Straßen.
»Bist du sicher, daß ich da hinmuß, Mama?«
»Laura, um Gottes willen, wo bist du mit deinen Gedanken?«
»Bei Papa.«
»Mach dir keine Sorgen. Du weißt, ich kümmere mich um ihn.«
Es hatte damit angefangen, daß Fernando leichte Knieschmerzen bekam, denen er zunächst keine weitere Bedeutung beimaß. Leticia rieb ihn mit Sloane-Liniment ein, der Schmerz erfaßte Beine und Taille, und bald klagte Don Fernando, daß ihm das Laufen schwerfiel und die Arme steif wurden. Schließlich stürzte er eines Morgens, als er aus dem Bett aufstand, und die Doktoren stellten eine allgemeine Paralyse fest, die sich zuerst und stärker auf die Beine als auf die Arme auswirken würde.
»Läßt sich das heilen?«
Die Ärzte schüttelten den Kopf.
»Wie lange wird es gehen?«
»Das kann das ganze Leben dauern, Don Fernando.«
»Und das Gehirn?«
»Nichts, alles in Ordnung. Sie brauchen Hilfe, um sich zu bewegen, das ist alles.«
Deshalb war die ganze Familie dankbar, daß das Haus nur ein Stockwerk hatte, und Maria de la O erbot sich, nach Xalapa überzusiedeln und ihren Schwager als Krankenschwester zu betreuen, sich um seine Bedürfnisse zu kümmern und ihn im Rollstuhl zur Bank zu schaffen.
»Dein Großvater ist gut versorgt. Er hat Hilda und Virginia. Wir haben alles besprochen und uns geeinigt, daß ich herkomme und deiner Mama helfe.«
»Wie sagt mein Papa noch immer auf englisch? Ohne Regen kein Donner, oder so ähnlich. Wir stehen ganz schön im Regen, Tantchen.«
»Kopf hoch, Laura. Und noch eins: Verteidige mich nicht wieder, wenn mich jemand schlecht behandelt. Du bringst dich nur in Schwierigkeiten. Wichtig ist, daß dein Vater gepflegt wird und Leticia den Haushalt führen kann.«
»Warum tust du das?«
»Ich verdanke deinem Vater ebensoviel wie deiner Großmutter, die mich zu euch gebracht hat. Irgendwann erzähle ich dir alles.«
Der Kummer, der das Haus nun zusätzlich zur Trauer um Santiago bedrückte, schüchterte Dona Leticia nicht ein. Sie wurde nur noch magerer und emsiger, ihr Haar ergraute allmählich, und die Linien ihres schönen rheinländischen Profils überzogen sich nach und nach mit feinsten Falten, wie jene Spinnweben, die kranke Kaffeepflanzungen überziehen.
»Du mußt zum Ball. Komm ja nicht auf komische Gedanken. Deinem Vater wird nichts passieren, und mir auch nicht.«
»Schwör mir, daß du mich holen läßt, wenn es ihm schlechter geht.«
»Um Gottes willen, Tochter, San Cayetano ist vierzig Minuten von hier. Und allein gehst du schließlich auch nicht. Elizabeth und ihre Mama begleiten dich, denk daran: Keiner kann etwas Schlechtes über dich sagen. Wenn etwas passieren sollte, schicke ich dir Zampayita mit dem Landauer.«
Elizabeth sah reizend aus, so blond und gutgewachsen mit ihren sechzehn Jahren, obwohl sie kleiner und etwas fülliger war als Laura und außerdem stärker dekolletiert. Sie hatte sich mit einiger Mühe in ein etwas altmodisches, vielleicht aber auch zeitloses rosa Taftkleid mit unendlich vielen Rüschen und Volants gezwängt.
»Mädchen, streckt die Brust nicht so heraus«, sagte Elizabeths Mutter. Sie hieß Lucïa Dupont und rang zeitlebens um die Überzeugung, daß ihr Name in den Vereinigten Staaten ebenso aristokratisch sei, wie er in Frankreich alltäglich war, allerdings vermochten wohl nur die männlichen Reize ihres Ehemannes zu erklären, warum sie einen Garcia geheiratet hatte. Unbegreiflich blieb, warum ihre Tochter hartnäckig darauf bestand, nur Garcia und nicht Garcia-Dupont, mit dem vornehmen angloamerikanischen Bindestrich, zu heißen.
»Laura hat damit kein Problem, weil sie flach ist, Mama, aber ich…«
»Elizabeth, mein Töchterchen, du blamierst mich.«
»Überhaupt nicht. So hat Gott mich geschaffen, mit deiner Hilfe.«
»Also gut, genug von deinen Eutern«, platzte Elizabeths Mama schamlos heraus. »Es gibt Wichtigeres: Bemüht euch um Kontakt zu den feinen Kreisen. Fragt vertraulich nach den Oliviers, Trigos, Sartorious, Fernăndez Landeros, Estevas, Pasquels, Bouchez und Luengas.«
»Und den Carazas«, unterbrach die kleine
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