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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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zu folgen. Sie gingen zu Eduardo Caraza, der sich gerade die Nase putzte.
    »Mädchen«, raunte die Gastgeberin der verweinten Blonden leise zu, »zeig nicht in der Öffentlichkeit, daß du verliebt bist. Dann fühlen sich alle zurückgesetzt und können dich nicht ausstehen. – Eduardo, jetzt kommen die modernen Tänze, und Elizabeth möchte, daß du ihr beibringst, den Cakewalk noch besser als Irene Castle zu tanzen.«
    Sie verließ die beiden, die Arm in Arm davongingen, und kehrte auf ihren Posten zurück, wie ein General, der verpflichtet ist, seine Truppen zu beaufsichtigen und jeden Gast von Kopf bis Fuß – Fingernägel, Krawatten, Schuhe – zu überprüfen. Wieviel hätte die Provinzgesellschaft dafür gegeben, die soziale Rangliste Dona Genovevas kennenzulernen, in der alle jungen Leute wie in der Schule mit Noten versehen und für das folgende Jahr angenommen wurden oder nicht. Und trotzdem, seufzte die vollendete Gastgeberin, immer gibt es jemanden, den man unbedingt einladen muß, selbst wenn er die Ansprüche nicht erfüllt, sich nicht sorgfältig die Nägel schneidet oder Schuhe trägt, die nicht zum Frack passen, keinen richtigen Krawattenknoten binden kann oder einfach ein Rüpel wie dieser Tennisspieler ist.
    »Macht und Geld haben immer mehr zu sagen als Eleganz und gute Manieren.«
    Dona Genovevas Diners waren berühmt und enttäuschten nie. Ein Gutsarbeiter mit weißer Perücke und einer Tracht nach der Mode des achtzehnten Jahrhunderts verkündete auf französisch: »Madame est servie.«
    Laura mußte lachen, als sie den braunhäutigen, eindeutig aus Veracruz stammenden Diener sah, der so vollendet den einzigen französischen Satz anstimmte, den ihm Dona Genoveva beigebracht hatte. Elizabeths Mutter, die ihre beiden Schutzbefohlenen in den Speisesaal führte, sah das alles ein wenig anders: »Im letzten Jahr hatte ich einen kleinen Neger mit weißer Perücke. Alle dachten, er wäre aus Haiti. Aber einen Indio als Ludwig XV. zu kostümieren…«
    Die Parade europäischer Gesichter, die sich auf die Speisesäle zubewegte, rechtfertigte jedoch die Gastgeberin. Versammelt waren die Kinder, Enkel und Urenkel spanischer, französischer, italienischer, schottischer und deutscher Einwanderer, wie auch Laura Dïaz Kelsen und ihr Bruder Santiago, sie stammten von Rheinländern und Kanariern ab, die im Hafen von Veracruz angekommen und geblieben waren, um ihr Glück zu machen: in der Hafenstadt selbst, in Xalapa, Cordoba und Orizaba, mit Kaffee, Viehzucht und Zucker, Bankgeschäften und Importen, in der Wirtschaft und sogar in der Politik.
    »Sieh dir das Kabinett Don Porfirios auf dem Foto hier an. Der einzige Indio ist er selber. Alle anderen sind weiß, helläugig und tragen englische Anzüge. Sieh dir die Augen von Finanzminister Limantour an, wie Wasser, und dann die Glatze von Landa y Escandon, diesem römischen Senator, dem Gouverneur von Mexico-Stadt, sieh dir den altfränkischen Patrizierbart von Justizminister Justino Fernandez an und den katalanischen Banditenblick von Schoßkind Casasüs. Der Diktator soll Reispuder benutzt haben, um seinen Teint aufzuhellen. Daß der einmal ein liberaler Guérillero, ein Held der Reformära war!« dozierte ein eindrucksvoll auftretender Mann in den Sechzigern, ein Weinimporteur und Zuckerexporteur.
    »Sollen wir etwa zurück in die Aztekenzeit?« widersprach eine von den Damen, an die sich der Kaufmann unnützerweise gewandt hatte.
    »Machen Sie keine Witze über Porfirio Dïaz, den einzigen ernsthaften Mann, den die Geschichte Mexikos hervorgebracht hat«, rief ein anderer Herr dazwischen, inbrünstige Wehmut im Blick. »Wir werden ihn noch vermissen. Sie werden sehen.« »Bisher nicht«, antwortete der Kaufmann. »Durch den Krieg exportieren und verdienen wir mehr als je zuvor.«
    »Aber durch die Revolution stehen wir bald schon ohne Unterhosen da, nichts für ungut, meine Damen«, bekam er zur Antwort.
    »Ach, die Zuaven waren wirklich schneidig«, hörte Laura von der Dame, die die Azteken nicht mochte. Sie verfolgte das Gespräch nicht weiter. Langsam schritten die Gäste auf die Tische zu, die vollgestellt waren mit Galantinen, Pasteten, Enten, Schinken und Roastbeefscheiben.
    Eine sehr blasse, beinahe gelbe Hand hielt Laura einen bereits gefüllten Teller hin. Sie sah einen Goldring mit den Initialen O und X, die gestärkte Manschette eines Frackhemdes, Manschettenknöpfe aus schwarzem Onyx, die Qualität des Stoffs. Irgend etwas hinderte Laura

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