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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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dem Tag, wo der kleine Philipp ein Heiliger wird, blüht die Christpalme.‹«
    »Warum redest du so über Heilige, du Mohr?« Entrüstet wollte die Señora zum Ende kommen. »Der heilige Philippus von Jesus ist in den Orient gegangen, um die Japaner zu bekehren, und die gemeinen Kerle haben ihn gekreuzigt. Jetzt ist er ein Heiliger, weißt du das nicht?«
    »Genau das hat seine Amme gesagt, mit allem Respekt, gnädigste Dona. An dem Tag, wo sie den kleinen Philipp umgebracht haben, hat die Christpalme geblüht.«
    »Die vor der Hazienda war vertrocknet.« Elizabeth lachte schelmisch.
    »Santiagos Kraft bestand darin, daß er nie einen anderen brauchte«, hatte Orlando auf der Terrasse in San Cayetano erklärt. »Deshalb lagen wir ihm alle zu Füßen.«
    Einen Monat später entdeckte man, wie es heißt, die Leiche von Señorita Armoma Aznar in der Dachkammer. Der Bankangestellte soll sie gefunden haben, als er ihr den monatlichen Scheck brachte, noch bevor ihr Zampayita den täglichen Proviantkorb vor die Tür stellte. Sie war erst seit zwei Tagen tot. Sie roch noch nicht.
    »Alles ist verborgen und belauert uns.« Laura sprach den geheimnisvollen leitmotivischen Satz ihrer Tante Virginia nach. Sie sagte ihn zu Li Po, der chinesischen Puppe, die bequem zwischen den Kissen auf dem Bett saß. Laura beschloß, die Erinnerung an ihren ersten Ball zu bewahren. Sie stellte sich vor, sie sei damals schlank und durchsichtig gewesen, so durchsichtig, daß ihr Körper das Tanzkleid war, und unter dem Kleid war nichts, und Laura drehte sich, schwebte in einem ätherisch eleganten Walzer, bis sie dankbar spürte, daß der Schleier des Schlafes sie zudeckte.

 
V.  Xalapa: 1920
     
    »Du hast dich geirrt, Orlando. Nicht hier. Laß dir etwas anderes einfallen, wo wir uns sehen können. Streng deine Phantasie etwas mehr an. Mach dich nicht über meine Familie lustig, zwinge mich nicht, mich selber zu verachten.«
    Laura lebte weiter mit ihrer Familie, verletzt durch den Tod des Großvaters und die Krankheit des Vaters. Sie verbannte die Verführung durch Orlando und den Tod Señorita Aznars nicht aus dem Gedächtnis, aber sie dachte nicht mehr daran. Sie beschäftigte sich nie wieder damit, sprach anderen gegenüber nicht davon, und auch ihre innere Stimme schwieg dazu. Sie dachte nicht mehr daran, obwohl sie das alles im Gedächtnis behielt, es blieb für immer in der Truhe der Vergangenheit weggeschlossen. Sie konnte »Orlando Ximénez« und »Armonîa Aznar« nicht noch zusätzlich zu den Sorgen und Problemen ihres Elternhauses ertragen, ebenso wies sie die morbiden, giftigen Anspielungen zurück, mit denen Orlando das Bild Santiagos beschmutzt hatte. Laura wollte dieses Bild klar und rein erhalten. Das verzieh sie dem »Stutzer« am wenigsten: daß er jenen Teil Santiagos herabgewürdigt hatte, den ihre Seele bewahrte.
    Ob Santiago auch in der Seele meines Vaters lebt? fragte sich die Zweiundzwanzigjährige, während sie den vom Schicksal besiegten Fernando Dïaz betrachtete.
    Das ließ sich nicht herausfinden. Die Paralyse des Buchhalters und Bankdirektors entwickelte sich in teuflischem Tempo, griff schnell und gleichmäßig um sich. Nach den Beinen erfaßte die Lähmung den ganzen Körper, am Ende konnte er nicht einmal mehr sprechen. In Lauras Herzen gab es nur noch Raum für das tiefe Mitleid mit ihrem Vater, der dazu verurteilt war, im Rollstuhl zu sitzen, wie ein Kind ein Lätzchen umzubekommen und von der fürsorglichen Tante Maria de la O gefüttert zu werden, die Welt mit unergründlichen Augen betrachtend, denen man nicht entnehmen konnte, ob er etwas hörte, dachte oder sich durch verzweifeltes Blinzeln und den ebenfalls verzweifelten Versuch mitteilte, das Blinzeln zu vermeiden und die Augen wachsam und forschend offenzuhalten, länger als es ein Mensch normalerweise auszuhalten vermag, als könnte er sie eines Tages überhaupt nicht wieder aufschlagen. Sein Blick wurde ganz glasig und feucht. Allerdings lernte es Don Fernando, die Augenbrauen vielsagend zu bewegen; wenn er sie verzog, verlieh er ihnen eine Ausdruckskraft, die Laura ängstigte. Wie zwei Bögen, die das einzige stützten, was von seiner Persönlichkeit übrigblieb, hoben sich die Brauen ihres Vaters nicht nur erstaunt, sondern bewegten sich noch höher, als drückten sie gleichzeitig eine Frage und eine Mitteilung aus.
    Die braunhäutige Tante widmete sich hingebungsvoll der Pflege des Kranken, während Laura den Haushalt besorgte. Leticia aber

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