Die Jahre mit Laura Diaz
Um die Liebe nicht zu erwidern. Welch eine Leidenschaft, Laura, welcher Lebenshunger! Der unersättliche Apostel Jakobus! Als hätte er gewußt, daß er jung sterben würde. Das wußte er wirklich. Darum kostete er aus, was das Leben ihm bot. Und trotzdem machte er Unterschiede. Du darfst nicht glauben, daß er war, wie man es von ihm behauptet, ein Schmetterling, der keine Blume ausließ. // savait choisir. Deshalb hat er dich und mich ausgewählt, Laura.«
Laura wußte nicht, was sie diesem schamlosen, anmaßenden, schönen jungen Mann antworten sollte, doch je länger sie ihm zuhörte, desto intensiver fühlte sie, was sie für Santiago empfand.
Zuerst distanzierte sie sich innerlich von Orlando (Geck, Stutzer, Dandy – Orlando lächelte, als erriete er, was Laura dachte, daß sie nach den Beinamen suchte, mit denen er oft getadelt wurde…), und schließlich fühlte sie sich gegen ihren Willen zu ihm hingezogen, sie lauschte dem, was er ihr über Santiago erzählte. Ihre anfängliche Abneigung gegenüber Orlando wich dem Verlangen, dem Bedürfnis, mehr über Santiago zu erfahren. Laura fühlte sich hin- und hergerissen. Orlando, der das begriff, unterbrach sich und forderte sie zum Tanz auf.
»Hör mal. Sie sind wieder bei Strauß angekommen. Moderne Tänze vertrage ich nicht.«
Er faßte sie um die Taille und bei der Hand, sah tief, bis zum Grund, in ihre flackernden Augen, betrachtete sie, wie keiner sie je betrachtet hatte, und während sie mit ihm Walzer tanzte, hatte Laura das beunruhigende Gefühl, daß sie beide unter ihrer Festkleidung nackt waren, so nackt, wie es sich Pfarrer Elzevir nur vorstellen konnte, und daß der vom Walzerrhythmus vorgeschriebene Abstand zwischen ihren Körpern eine Täuschung war: Sie waren nackt und umarmten sich.
Laura erwachte aus ihrem Trancezustand, als sie den Blick von Orlando abwandte und begriff, daß alle anderen sie anschauten, ihnen Platz machten und schließlich nicht mehr weitertanzten, um Laura Dïaz und Orlando Ximénez tanzen zu sehen.
Eine muntere Kinderschar in Nachthemden sorgte für eine Unterbrechung. Die Kleinen stürmten unter lautem Geschrei herein, sie hielten große Hüte in der Hand, gefüllt mit Orangen, die sie aus dem Garten gestohlen hatten.
»Du warst die Sensation des Balls«, sagte Elizabeth Garcia zu ihrer Schulfreundin, als sie nach Xalapa zurückfuhren.
»Dieser Junge hat einen sehr schlechten Ruf«, setzte Elizabeths Mutter schnell hinzu.
»Wenn er doch nur auch mich zum Tanz aufgefordert hätte«, murmelte Elizabeth. »Um mich hat er sich überhaupt nicht gekümmert.«
»Du wolltest doch mit Eduardo Caraza tanzen, davon hast du doch geträumt«, sagte Laura erstaunt.
»Der hat nicht ein Wort mit mir gesprochen. Der weiß nicht, was sich gehört. Er tanzt, ohne zu reden.«
»Bestimmt ein andermal, meine Kleine.«
»Nein, Mama, ich bin enttäuscht fürs ganze Leben.« Das Mädchen im rosa Kleid brach in Tränen aus und warf sich in die Arme seiner Mutter, die es nicht direkt tröstete, sondern lieber ausweichend reagierte, indem sie zu Laura sagte: »Ich fühle mich verpflichtet, deiner Mutter das alles zu erzählen.«
»Geben Sie sich keine Mühe, Señora. Ich werde ihn nie wiedersehen.«
»Besser für dich. Schlechte Gesellschaft.«
Der Schwarze Zampayita machte ihr die Haustür auf, und die Garcïa-Duponts, Mutter und Tochter, zogen die Taschentücher, um sich von Laura zu verabschieden – trocken das der Señora, tränenfeucht das Elizabeths.
»Wie kalt es hier ist, Señorita«, jammerte der Schwarze. »Wann ziehn wir wieder in den Hafen?«
Er machte einen kleinen Tanzschritt, doch Laura sah ihn nicht an. Sie hatte nur Augen für die Dachkammer, in der die katalanische Señora Armonia Aznar wohnte.
Am frühen Morgen mußten sie im Landauer nach Catemaco fahren: Der Großvater lag im Sterben, hatte ihnen die dunkelhäutige Tante gemeldet. Laura betrachtete wehmütig die tropische Landschaft, die unter ihren sehnsüchtigen Blicken wiedererstand, und ahnte schon den Kummer voraus, ihrem Großvater Felipe Lebewohl sagen zu müssen.
Er ruhte in seinem Schlafzimmer, das seit so vielen Jahren seines gewesen war, zuerst als Lediger, dann mit seiner geliebten Frau Côsima Reiter und nun wieder allein, ohne andere Gesellschaft als die seiner Töchter, denen er, das wußte er genau, als Vorwand diente, um unverheiratet zu bleiben, wozu ein verwitweter Vater sie angeblich verpflichtete.
»Mal sehen, ob ihr jetzt endlich
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