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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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lernte allmählich, im Blick ihres Mannes zu lesen, sie ergriff seine Hand und verständigte sich mit ihm.
    »Du sollst ihm die Krawattennadel anstecken, Maria.« »Er möchte, das wir ihn in Los Berros spazierenfahren.« »Er hat Appetit auf Bohnen mit Reis.«
    Sagte ihre Mutter die Wahrheit oder erfand sie das Trugbild einer Verständigung und damit des Lebens? Maria de la O übernahm schnell jede Arbeit, die für Leticia beschwerlich gewesen wäre, sie reinigte den Kranken mit lauwarmen Tüchern und Haferseife, kleidete ihn morgens an, mit vollständigem Anzug, Weste, steifem Kragen, Krawatte, dunklen Strümpfen und hohen Schnürstiefeln, als ginge der Hausherr ins Büro; und abends um neun zog sie ihn aus und brachte ihn mit Zampayitas Hilfe ins Bett.
    Laura konnte nichts anderes tun, als die Hand ihres Vaters zu halten und ihm die französischen und englischen Romane vorzulesen, die er so gern hatte; ihm zu Ehren lernte sie diese Sprachen. Fernandos körperlicher Verfall spiegelte sich schnell in seinen Gesichtszügen wieder. Er wurde alt, doch er beherrschte auch weiter seine Gefühle, Laura sah ihn nur einmal weinen, als sie ihm die rührende Geschichte aus Thomas Hardys »Juda der Unberühmte« vom Tod des Kindes Little Father Time vorlas, das sich umbringt, als es von den Eltern hört, daß sie nicht so viele Mäuler stopfen können. Doch diese Tränen erfreuten Laura. Ihr Vater verstand sie. Ihr Vater hörte und fühlte hinter dem undurchsichtigen Schleier der Krankheit.
    »Geh aus, Tochter, führe ein Leben, wie es sich für dein Alter gehört. Nichts würde deinen Vater mehr betrüben, als wenn er wüßte, daß du dich für ihn opferst.«
    Warum benutzte ihre Mutter diese Verbform, den Konjunktiv, der, wie die Señoritas Ramos ihnen erklärt hatten, eine Aussageweise ist, die unbedingt mit einem anderen Verb zusammengehört, um eine Bedeutung zu erhalten, ein hypothetischer Indikativ zu werden, sagte die erste Señorita Ramos; ein Indikativ des Wunsches, erweiterte die zweite; etwas Ähnliches, als äußerte man: »Wenn ich du wäre…«, kommentierten die beiden gleichzeitig, wenn auch von unterschiedlichen Standpunkten aus. Tag für Tag mit dem Kranken zusammenzuleben, ohne ein Ende vorauszusehen, war das einzig Sinnvolle, was die Tochter mit dem Vater verbinden konnte. Wenn Fernando ihr wirklich zuhörte, wollte sie ihm erzählen, was sie jeden Tag machte, wie das Leben in Xalapa war, welche Neuigkeiten es gab. Und da begriff Laura auf einmal, daß es nichts Neues gab. Ihre Schulfreundinnen hatten die Schule beendet und geheiratet und waren nach Mexico-Stadt übergesiedelt, weit weg aus der Provinz, ihre Männer hatten sie mitgenommen: Die Revolution zentralisierte die Macht noch stärker als die Diktatur, die Agrar- und Arbeitergesetze bedrohten die Reichen in der Provinz, viele fanden sich damit ab, ihren Besitz zu verlieren, gaben die Felder und Fabriken im vom Kampf verwüsteten Landesinneren auf und versuchten sich eine neue Existenz in der Hauptstadt zu schaffen, wo sie sich vor den Gefahren des Land- und Provinzlebens sicher fühlten. Das alles entrückte Lauras Freundinnen in weite Ferne.
    Hinter ihr lagen auch die heftigen Gefühle, die der Dandy Orlando und die katalanische Anarchistin in ihr hervorgerufen hatten, sogar ihre inbrünstige Verehrung Santiagos beruhigte sich, und an deren Stelle trat die bloße Abfolge der Stunden, die Tage sind, die Jahre sind. Die Gewohnheiten in Xalapa erhielten sich unverändert, als könnte die Außenwelt nicht in diese Sphäre aus Tradition, Seelenruhe, Selbstzufriedenheit und vielleicht Lebensklugheit einer Stadt eindringen, die wie durch ein Wunder, allerdings auch durch eigenen Willen, von den landesweiten Wirren jener Jahre nicht unmittelbar erfaßt wurde. Revolution, das bedeutete in Veracruz vor allem die Furcht der Reichen, ihren Besitz zu verlieren, und das Verlangen der Armen, das Lebensnotwendige zu erkämpfen. Vor langen Jahren hatte Don Fernando mit vagen Andeutungen vom Einfluß der anarchosyndikalistischen Ideen gesprochen, die über den Hafen nach Mexiko eindrangen, und die Anwesenheit der stets unsichtbaren Armonîa Aznar in ihrem Haus hatte Vorstellungen in ihm wiederbelebt, die Laura nicht genau verstand. Als die Schule zu Ende ging und Lauras Freundinnen verschwanden, weil sie heirateten und Laura nicht, weil sie in die Hauptstadt zogen und Laura dablieb, sah sie sich genötigt – damit sie ein normales Leben führen und die Sorgen der

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