Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
Vom Netzwerk:
man jemals erlebt hat. Er hat den Achtstundentag und die Sechstagewoche zugestanden, aber als die Gewerkschaften die Demokratie wollten, war Schluß. Er hat die Führer verhaftet und deportiert. Einer von ihnen ist mein Freund Juan Francisco Lopez Greene, und es ist mir eine große Freude, ihn vorzustellen. Daß er Greene heißt, bedeutet nicht, daß er Engländer wäre: In Tabasco heißen alle Graham oder Greene, weil sie von englischen Piraten abstammen, aber indianische und schwarze Mütter haben, stimmt's?«
    Juan Francisco nickte lächelnd. »Laura, du bist doch gebildet. Ich überlasse ihn dir«, sagte Icaza schalkhaft und entschieden, dann widmete er sich anderen Angelegenheiten.
    Dem Neuankömmling waren die provinziellen Sitten gänzlich fremd, auf den Hausbällen der Hazienda San Cayetano hätte er gewirkt wie jener »Christus mit einem Paar Pistolen«, den der Grundbesitzer aus Cördoba einmal erwähnt hatte. Laura nahm an, daß er ebenso plump war wie seine großen, dicken, eckigen Bergarbeiterschuhe mit ihren genagelten Sohlen. Seine Ausdrucksweise würde wie ein Regen von Steinbrocken inmitten einer Wüste des Schweigens sein. Darum war sie überrascht, als sie eine sehr gleichmäßige, ruhige, ja sogar sanfte Stimme hörte, die jedem Wort ein überzeugendes Gewicht verlieh; mit dieser Stimme konnte Juan Francisco Lopez Greene es sich erlauben, äußerst behutsam aufzutreten und so »leise« zu sprechen.
    »Hat Xavier Icaza recht?« Laura unternahm einen Vorstoß, weil sie einen Anknüpfungspunkt für das Gespräch suchte.
    Juan Francisco bestätigte nachdrücklich: »Ja. Ich weiß längst, daß alle versuchen, uns zu benutzen.«
    »Wen zu benutzen?« fragte Laura in ungezwungenem Ton.
    »Die Werktätigen.«
    »Bist du einer?« Laura unternahm einen weiteren Vorstoß und duzte ihn, denn sie war sicher, daß sie ihn damit nicht beleidigte. Sie forderte ihn nur ein wenig heraus, damit er auch sie von gleich zu gleich behandelte und nicht mit »Señorita« oder »Sie« anredete. Tastend suchte sie nach einer Gemeinsamkeit, beschnupperte den Unbekannten und fühlte sich ein bißchen plump, ein bißchen roh, wie ihr das mit Orlando nie geschehen war, der sie genötigt hatte, an perverse, raffinierte und subtile
    Dinge zu denken, die sich wie ein giftiger Duft auflösten, der intensiv, aber verderblich und flüchtig war. Es mißlang ihr.
    »Es gibt diese Gefahr, Señorita. Damit muß man sich abfinden.«
    (Er soll du zu mir sagen, bat Laura, er soll mich mit »du« und nicht mit »Señorita« anreden, ich möchte mich einmal anders fühlen, ich will, daß ein Mann mir Dinge sagt und mit mir macht, die ich nicht kenne oder nicht erwarte und deshalb auch nicht verlangen kann, das muß von ihm ausgehen, davon hängt alles, was danach kommt, ab, vom einfachen »du« oder »Sie«…)
    »Was für eine Gefahr, Señor Greene?« Laura kehrte zum formellen »Sie« zurück.
    »Daß sie uns manipulieren, Laura.«
    Ohne auf das errötende Gesicht des Mädchens zu achten (oder vielleicht tat er nur so, als bemerkte er nichts), setzte er hinzu, daß »wir« auch aus »ihnen« Nutzen ziehen könnten. Laura gewöhnte sich unverzüglich an diesen sonderbaren Plural, der ohne jede Anmaßung und ohne falsche Bescheidenheit eine ganze Gruppe umfaßte, Arbeiter, Kämpfer, Genossen, ja, die Genossen dieses Mannes, der da mit ihr sprach.
    »Icaza macht sich keine Hoffnungen. Ich aber.« Er lächelte zum erstenmal mit einer Spur Bosheit, doch vor allem mit Selbstironie, dachte Laura. »Ich aber.«
    Er sagte, er mache sich Hoffnungen, weil die Verfassung den mexikanischen Bauern und Arbeitern bestimmte Zugeständnisse gemacht habe, für die es keinen unmittelbaren Grund gebe. Carranza sei ein ehemaliger Haziendabesitzer, dessen Ziegenbart sich kräusele, wenn er mit Arbeitern und Indios verhandeln müsse, Obregõn ein intelligenter, aber opportunistischer Kreole, der genauso mit dem lieben Gott wie mit dem Teufel am Tisch sitzen könne, dem er weiszumachen verstehe, tatsächlich sei er der liebe Gott, und dem wiederum, er brauche sich keine Sorgen zu machen, er selbst könne der Teufel sein und habe keinen Grund, Luzifer dermaßen zu beneiden; wobei das letzte Wort eindeutig bei General Ălvaro Obregõn liege, der als Richter das Urteil fälle: »Du bist der Teufel…« Die Verfassung habe die Rechte des Arbeiters und das Recht auf Land sanktioniert, weil »sie« ohne »uns« – immer das gleiche, sagte sich Laura Dïaz – nicht die

Weitere Kostenlose Bücher