Die Jahre mit Laura Diaz
Kampf und an den Verhandlungstisch zurückgekehrt, wir haben gewonnen, wir haben verloren, wir werden wieder wenig gewinnen und viel verlieren, aber das macht nichts, das macht nichts, man darf nicht den Schwanz einziehen, wir können das Licht an- und ausschalten, sie nicht, sie brauchen uns.«
»Armonia Aznar war eine vorbildliche Kämpferin«, sagte Juan Francisco Lopez Greene, als er an dem Haus, das Laura und ihre Familie bewohnte, die Gedenktafel für die Katalanin enthüllte. »Wie alle Anarchosyndikalisten kam sie in Veracruz an, zusammen mit dem spanischen Anarchisten Amedeo Ferrés. Sie ging in den Untergrund und organisierte während der Präsidentschaft Don Porfirios die Drucker. Dann, während der Revolution, kämpfte Armonia Aznar heldenhaft und, was am schwersten ist, ruhmlos im Haus des Weltarbeiters. Sie arbeitete direkt hier in Xalapa als Geheimkurier, sie brachte Dokumente von Veracruz nach Mexico-Stadt, von der Hauptstadt zum Hafen.«
Juan Francisco unterbrach seine Rede und suchte unter den ungefähr hundert Teilnehmern der Zeremonie die Augen von Laura Dïaz.
»Möglich wurde das durch die großmütige revolutionäre Haltung des Bankdirektors Don Fernando Dïaz, der Armonia Aznar Unterschlupf gewährte und ihr so die illegale Arbeit ermöglichte. Don Fernando ist krank, und ich möchte mir erlauben, ihn zu grüßen und ihm, seiner Frau und seiner Tochter zu danken, im Namen der Arbeiterklasse zu danken. Wie uns dieser zurückhaltende, mutige Mann wissen ließ, tat er das alles, um das Gedächtnis seines Sohns Santiago Dïaz zu ehren, der von Handlangern der Diktatur erschossen wurde. Sie alle verdienen unsere Hochachtung.«
In jener Nacht blickte Laura tief in die stummen Augen ihres gelähmten Vaters. Dann wiederholte sie langsam, was Juan Francisco Lopez Greene während der Zeremonie gesagt hatte, und Fernando Dïaz' Lider zuckten. Laura schrieb ein paar Worte auf eine kleine Tafel, die von der Familie benutzt wurde, wenn sie sich mit dem Vater verständigen wollte. Sie schrieb: »Danke, weil du Santiago geehrt hast.« Fernando Dïaz riß die Augen weit auf, wie er es gewöhnlich tat, und gab sich ungeheure Mühe, nicht zu blinzeln. Sie, die Frauen des Hauses, kannten seine beiden Reaktionen, daß er mehrmals blinzelte oder das Blinzeln vermied, bis es so aussah, als sprängen ihm die Augen aus den Höhlen, wobei sie nicht wußten, welche Bedeutung das eine oder das andere hatte. Diesmal bemühte sich Fernando, die Hände zu heben und zur Faust zu ballen, doch er ließ sie entkräftet in den Schoß zurücksinken. Er zog lediglich die Brauen wie zwei Halbkreise in die Höhe.
»Wir werden schon ein Haus finden, wo wir unterkommen und Gäste aufnehmen können, hier in der Galle Bocanegra«, verkündete Mutti Leticia ein paar Tage später.
»Ich lese Fernando jeden Abend vor«, sagte die schrift-stellernde Tante Virginia mit eng zusammengepreßten Lippen und fieberhaftem Blick. »Mach dir keine Sorgen, Laura.«
Laura verabschiedete sich von ihrem stummen Vater. Eine halbe Stunde lang las sie ihm Episoden aus »Juda der Unberühmte« vor, und der Roman Hardys ermöglichte es ihr, sich den Vater als Toten vorzustellen, mit dem vom Tod verschönten Gesicht, der Tod würde ihn verjüngen, man mußte vertrauensvoll, ja sogar heiter auf ihn warten, der Tod würde die Spuren der Zeit in Don Fernandos Gesicht auslöschen, und Laura würde für immer das Bild eines Mannes mitnehmen, der zärtlich, aber auch stark war, wenn es die Umstände verlangten.
»Laß die Gelegenheit nicht vorbeigehen«, sagte noch in derselben Nacht die klavierspielende Tante Hilda Kelsen zu ihr. »Sieh dir meine Hände an. Du weißt, was ich hätte werden können, nicht wahr, Laura? Ich möchte nicht, daß du jemals das gleiche sagen mußt.«
Laura Dïaz und Juan Francisco Lopez Greene heirateten im Xalapaer Amtsgericht am 12. Mai 1920, Lauras Geburtstag, die früher einmal gesungen hatte: »Am zwölften Mai schlüpfte die Jungfrau aus dem Ei, schneeweiße Windeln um den Po und im Paletot…« Und der Schwarze Zampayita fegte und sang: »Orala-cachimbâ-bimbâ-bimbâ, paß auf, meine Schwarze, tanz hierhin, tanz dorthin, paß auf, meine Schwarze.« Und Laura Dïaz fuhr mit ihrem Mann im Interoceânico nach Mexico-Stadt, und auf halbem Wege brach sie in Tränen aus, weil sie die chinesische Puppe Li Po in Xalapa zwischen den Kissen vergessen hatte. Im Bahnhof Tehuacân benachrichtigte man Juan Francisco, Präsident
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