Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jangada

Die Jangada

Titel: Die Jangada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
schien sich bis ins Unendliche auszudehnen, so daß man sich auf ein Meer versetzt glaubte, und an den Enden dieser, über zweihunderttausend Millionen Meilen langen Achse erschienen im Norden der vereinzelte Diamant des Polarsternes, im Süden die vier Brillanten des südlichen Kreuzes.
    Die Bäume des linken Ufers und die der Insel Jahuma wurden nur in ihren schwarzen Umrissen sichtbar. Nur an ihrer Silhouette konnte man die Stämme oder vielmehr die Säulenschäfte der Copahus unterscheiden, die sich schirmartig ausbreiten, die Gruppen von »Sandis«, aus denen ein dicklicher Saft gewonnen wird, der gleich dem Weine berauschen soll, die achtzig Fuß hohen »Vignaticos«, deren Gipfel bei der leichten Luftströmung schwankten.
    »Welch’ ergreifende Predigt, diese Wälder des Amazonenstromes!« hat man gewiß mit Recht gesagt. Man hätte auch noch hinzusetzen können: »Welch’ entzückender Lobgesang, diese tropischen Nächte!«
    Die Vögel ließen ihr letztes Abendlied erschallen; »Bentivis«, die in den Rosengebüschen des Ufers nisteten; »Niambus«, eine Art Rebhühner, deren Gesang aus vier vollkommen harmonirenden Tönen besteht und welchen andere Vögel wohl oder übel nachzuahmen suchten; »Kamichis« mit klagenden Tönen; Taucherenten, deren Geschrei gleich einem Signal auf das Geschrei anderer Genossen zu antworten scheint; »Canindes« mit scharfer durchdringender Stimme; und rothe »Aras«, die in den Blätterkronen der »Jaquetibas« umherflattern, deren glänzende Farben bei dem nächtlichen Dunkel verschwanden.
    Auf der Jangada waren alle Leute auf dem Posten, aber gemächlich hingestreckt. Nur die hohe Gestalt des Steuermannes war auf dem Vordertheile zu sehen, wenn auch im Schatten der Nacht nur undeutlich zu unterscheiden. Einzelne Wachtposten mit langen Stangen auf der Schulter erinnerten an ein Lager tatarischer Reiter. Am Flaggenstocke hing die brasilianische Fahne am Vordertheile des Trains, der Wind war aber nicht stark genug das Flaggentuch zu entfalten.
    Um acht Uhr ertönten die drei ersten Glockenschläge zum Nachtgebete von dem Thürmchen der Kapelle.
    Wiederum ertönen die hellen Glocken nach dem zweiten und dritten Verse und zuletzt begleiteten die schnelleren Schläge der kleineren Glocke die Salutation.
    Die ganze Familie war nach dem schönen Junitage unter der Veranda sitzen geblieben, um noch eine Zeit lang die frische Luft zu genießen. Bis jetzt hatte man es jeden Abend so gehalten, und während Joam Garral immer stillschweigend sich begnügte, den Anderen zuzuhören, plauderten die jungen Leute bis zur Schlafenszeit.
    »O, unser schöner Fluß! Unser prächtiger Amazonenstrom! rief das junge Mädchen, dessen Begeisterung für den großen südamerikanischen Strom überall hindurchbrach.
    – Gewiß, ein Strom ohne Gleichen! antwortete Manoel, ich lerne dessen Reize immer mehr und mehr bewundern. Wir fahren jetzt auf demselben hinab wie vor Jahrhunderten Orellana, wie La Condamine, und ich erstaune nicht mehr darüber, daß diese so entzückende Schilderungen von jenem geliefert haben.
    – Freilich etwas fabelhafte, bemerkte Benito.
    – Aber, liebster Bruder, erwiderte das junge Mädchen in vollem Ernst, sage nichts Schlechtes von unserem Amazonenstrome!
    – Es ist doch nicht schlecht von ihm gesprochen, Schwesterchen, wenn ich daran erinnere, daß er auch seine Sagen und Legenden hat!
    – Ja, das ist wahr, sagte Minha, und noch dazu reizende Legenden.
    – Wirklich? fragte Manoel, ich muß gestehen, daß diese noch nicht bis Para hinabgedrungen oder doch wenigstens mir nicht zu Ohren gekommen sind!
    – Ei, was lehrt man denn aber in den Collegien in Belem? warf das junge Mädchen lachend ein.
    – Ich sehe allmählich ein, daß man uns dort gar nichts lehrt, antwortete Manoel.
    – Wie, mein werther Herr, fuhr Minha in komischem Ernste fort, Sie wissen außer anderen Sagen nichts davon, daß ein ungeheueres Reptil, mit Namen der Minhocao, den Amazonenstrom bisweilen besucht und daß das Wasser desselben steigt oder fällt, je nachdem die gigantische Schlange darin untertaucht oder es wieder verläßt?
    – Hast Du diesen phänomenalen Minhocao denn schon einmal gesehen? fragte Manoel.
    – Leider nein, gestand Minha.
    – Das ist doch schade, glaubte Fragoso bemerken zu müssen.
    – Und die »Mae d’Agua«, fuhr das junge Mädchen fort, jene stolze und furchtbare Frau, deren Blick die Vorwitzigen, welche nach ihr schauen, bezaubert und unter das Wasser zieht!
    – Ja

Weitere Kostenlose Bücher