Die Janus-Gleichung
damit arbeiten kannst, aber um das zu tun, mußt du der Masse viel größere Aufmerksamkeit schenken. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, und ich werde es auch nicht sein, bis ich die Gleichung gelöst habe, aber ich glaube, daß wir in der Mitte nicht nur eines, sondern in einer unendlichen Zahl von Universen sitzen, die alle denselben Raum einnehmen, aber physikalisch nicht miteinander in Phase sind.«
Winters grunzte. »Ich bin sicher, du weißt, daß das keine neue Idee ist.«
»Das Neue an der Sache ist: Die Universen haben nur aus einem einzigen Grund keinerlei Verbindung miteinander, wirklich nur aus diesem einen Grund – der Zeit. Mit anderen Worten, sie befinden sich in anderen Entwicklungsstadien, weil die Gegenwart des einen Universums sich den Bruchteil einer Sekunde vor oder hinter der Gegenwart des unmittelbar anstoßenden Universums befindet – nein, ‚anstoßend’ ist das falsche Wort. Aber es gibt kein passenderes. Meiner Theorie zufolge findet Zeit statt, wenn Materieschwingungen sich über die Universen hinweg verschieben. Wenn meine Theorie stimmt, dann müßte es uns möglich sein, in dem, was wir immer Zeit genannt haben, zu reisen, indem wir uns körperlich den Materieschwingungen entlang bewegen.«
»Das räumt aber nicht meine Bedenken aus, daß die Geschichte durcheinandergebracht wird«, wandte Winters ein.
»Doch, Eric. Im Augenblick sind alle Universen unter Umständen gleichmäßig fortlaufend. Zeitreisen sind bisher noch nicht möglich gewesen, und vielleicht werden sie das auch nie sein. Wenn sie es aber sind, dann können Paradoxa, wie du sie aufgeworfen hast, in unbegrenzter Anzahl stattfinden, ohne eine einmal gegebene Realität zu zerstören; einfach durch Abzweigung, indem neue Universen vom Augenblick des sogenannten Paradoxons ihren Ausgang nehmen und selbständig weiterexistieren. In diesem Sinne gibt es dann keine Widersinnigkeiten: Kennedy hätte zwar ermordet werden können, aber nicht in unserem Universum. Eine Zeitmaschine würde die Wirklichkeit nicht ändern – sondern uns den Zugang zu mehreren Wirklichkeiten schaffen.«
»Dessen kannst du dir doch nicht sicher sein.«
Ermüdet von Winters’ verbissener Ablehnung sackte Essian zurück und schloß die Augen.
»Ich bin ein lausiger Gastgeber«, sagte Winters. »Du kommst hier hungrig und erschöpft an, und ich erörtere philosophische Probleme mit dir. Du siehst abgespannt aus; warum bleibst du nicht über Nacht?«
Essian schüttelte den Kopf. »Bis zu meiner Wohnung sind es nur zehn Minuten.«
»Ich finde, du solltest jetzt nicht alleine sein.« Winters legte die Pfeife in einen Aschenbecher und stand auf. »Komm schon, du kannst mein Bett nehmen.«
»Nein, wirklich nicht.«
»Schön, dann eben das Gästebett in der Bibliothek.« Winters faßte mit einer Hand unter seinen Arm und zog ihn sanft aus dem Sessel hoch. Essian ließ es zu, daß er in einen Raum über dem Kaminzimmer geführt wurde, wo es, wegen der zwei wandhohen Regale mit Kassetten, recht eng war. Winters zog das Bett aus der Wand, und Essian ließ sich darauf fallen; lag ganz still, während ihm Winters die Schuhe auszog. Der massige Mann schaltete das Licht aus, aber Essian konnte fühlen, daß er sich noch immer im Zimmer befand; er riskierte einen kurzen Blick, nur um herauszufinden, daß der andere unschlüssig in der Türe stand. Winters kam zurück und setzte sich neben ihn auf das Bett, legte eine Hand auf seinen Arm. Mit erhöhter Sensibilität, fast so, als ob er es geahnt hätte, fühlte Essian, wie sich sein Bewußtsein veränderte. Die Müdigkeit war verflogen, und er war nichts weiter als gespannte Aufmerksamkeit: die Luft in seinen Lungen schmerzte ihn, und in den Schläfen klopfte das Blut; der Magen zog sich zusammen, was er aber fast als angenehm empfand; er biß die Zähne zusammen, als er sich gegen das, was kommen mußte, auflehnte. Winters Hand schien sich in seinen Arm brennen zu wollen, und Essian drückte seine Hände gegen die Laken, als er einen schwindelerregenden Moment lang glaubte, im Bett zu versinken.
Der Mann beugte sich über ihn. »Paul, wir haben nie darüber gesprochen, aber wenn du mich jemals brauchen solltest, wenn du es möchtest – ich bin da.« Winters streichelte seinen Arm, und Essian empfand es wie einen elektrischen Schlag, so als ob er den anderen Mann ganz spüren könnte – den Duft nach Eau de Cologne, der sich mit Schweiß und Tabak mischte, die harten Muskeln und die großen sanften
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