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Die Janus-Gleichung

Die Janus-Gleichung

Titel: Die Janus-Gleichung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Spruill
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sie lagen einander in den Armen, lachten, drohten hinzufallen; hinter ihnen brandeten die Wellen an den Strand, und sie erinnerten sich daran, wie sie das Wochenende genossen hatten, erinnerten sich an vertraute, sehr irdische Einzelheiten: der heiße Schauer des Orgasmus, der Sand in ihren Schuhen. Aber in Wirklichkeit war er niemals irgendwo mit dieser Frau gewesen. Er kannte sie noch nicht einmal. Er hatte nie auch nur ein Wort mit ihr gewechselt. Es waren nichts als romantische Phantasien, noch dazu gegen seine bessere Einsicht, gegen seine eigene Natur. Er erinnerte sich nur selten an seine Träume, und seine Phantasievorstellungen waren auch immer nur vage und mißgeformt gewesen. Wie konnte die bloße Anwesenheit dieser Frau nur solche Halluzinationen in ihm wachrufen? Er war ein logischer Mensch, und er hätte sich von Anfang an dagegen wehren sollen. Es hätte ihm – psychologisch gesehen – nicht passieren dürfen. Aber sein logisches Gleichgewicht war in Unordnung geraten. Er erinnerte sich an diese Tatsache fast dankbar und benutzte sie als eine Ausflucht für seine Verwirrung über diese Frau. Er mußte die unüberwindbare Anziehung einfach als einen Teil dessen betrachten, was mit ihm vorging. Das war vielleicht sowieso das einzig Gute daran.
    Aus den Augenwinkeln registrierte Essian, daß die Frau irgend etwas aus ihrer Handtasche holte – einen Taschenrechner. Sie fing an, Berechnungen anzustellen, und er verrenkte sich den Hals, um einen Blick darauf zu werfen. Sie schaute zu ihm hinüber, und er war sich darüber im klaren, daß er etwas sagen mußte.
    »Komponentengleichungen?«
    Sie lachte verunsichert. »Ich weiß, hier ist kaum der Ort für so etwas, aber für mich ist heute Stichtag. Wenn ich das Problem nicht bis heute abend gelöst habe, bedeutet das, daß ich meinen Urlaub verschieben muß.«
    Der Barkeeper kam und schaute die beiden bedeutungsvoll an. »Was soll’s denn heute abend sein?«
    Die Frau schaute auf Essians Inhaliergerät, das sich durch den Dampf, der aus ihm herausquoll, inzwischen tief rosa gefärbt hatte. »Es ist gut«, erzählte er ihr bereitwillig. »Nur leichte Anregungsmittel; keinerlei putschende Katalysatoren.«
    »Okay.«
    »Einmal Minze mit Kelaminen«, sagte der Barkeeper. »Auf die Rechnung vom Doktor.«
    Sie schaute ihn fragend an, und er verzog das Gesicht, fühlte sich aber nichtsdestotrotz geschmeichelt. »Ich heiße Paul Essian«, sagte er.
    »Jill Selby.« Ihre Hand paßte in seine und erwiderte sanft aber kräftig den Druck seiner Finger. »Was für ein Doktor?«
    »Theoretische Mathematik.«
    Sie lachte, als ob sie sich ertappt fühlte. »Ich nehme an, Sie arbeiten für Meridian?«
    »In Abteilung A«, gab Essian verwirrt zurück.
    »Ich arbeite in Abteilung E. Theoretische Mathematik.«
    Essian schüttelte den Kopf. »Das einzige, was wir jetzt noch brauchen, ist ein Statistiker, der uns die Wahrscheinlichkeit der ganzen Sache ausrechnet.« Der Barkeeper brachte Jills Maske. Als er gegangen war, sprachen sie nur noch wenig zwischen den einzelnen Zügen des milden Euphorikums. Als sie sich über das Projekt unterhielten, an dem sie gerade arbeitete, wurde sie bald lebhafter, und ihm war es zum erstenmal möglich, sie für längere Zeit ungestört zu beobachten, während sie den größten Teil der Unterhaltung bestritt. Heute abend trug sie ihre Arbeitskleidung, einen glatten pflaumenblauen Jumpsuit, der mit Silber abgesetzt war und am Halse offenstand. Silberglanz schimmerte auf ihren Wangenknochen, und die Augen waren mit einem weichen schwarzen Stift umrandet worden, dessen Linie sich an den äußeren Augenwinkeln ein wenig nach oben zog, was ihn an die alten Ägypter erinnerte. Eine Strähne ihres Haares hatte sich selbständig gemacht und fiel ihr über ein Auge, sie strich sie zurück und ließ dabei ihre Hand betont einen Moment dort verweilen; er mußte überrascht feststellen, daß sie sehr wohl gemerkt hatte, wie er sie beobachtete. Sie machte eine erwartungsvolle Pause, und Essian merkte auf einmal, daß sie eine Frage gestellt hatte.
    »Wie bitte?«
    »Ich fragte, ob sie es gerne einmal versuchen möchten.« Sie reichte ihm ihren Taschenrechner. »Ich habe den ganzen Nachmittag daran gearbeitet, aber ich bekomme es einfach nicht in den Griff.«
    Essian nahm den Taschenrechner an sich, starrte darauf und tauchte langsam in die Schwierigkeiten des Problems ein. Der Lärm der Menschen, die Musik, die aus dem Synthesizer dröhnte, ja sogar die

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