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Die Janus-Gleichung

Die Janus-Gleichung

Titel: Die Janus-Gleichung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Spruill
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Hände. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Winters.
    Aber Essian fürchtete sich doch; er fürchtete sich so sehr, daß er es nicht über sich bringen konnte, das Angebot zu akzeptieren, obwohl sein Herz schneller schlug, obwohl er die Erektion kommen spürte, und obwohl er das intensive Bedürfnis hatte, zu lieben und geliebt zu werden. Er brauchte nur die Hand zu heben, und Winters würde sie ergreifen, und alles andere würde von selbst kommen. Aber er hob sie nicht, und Winters verließ schweigend das Zimmer. Essian hatte wieder versagt.

IV
     
     
     
    Essian saß im »Styx« und inhalierte in tiefen Zügen den mit Minze und Kelaminen versetzten Dampf ein, der keine psychotrope Wirkung hatte, während er über Eric Winters nachdachte. Es war jetzt eine Woche her, daß er die Nacht im Hause seines Freundes verbracht hatte; eine Woche, in der es Essian nicht einmal möglich gewesen war, an der Gleichung zu arbeiten. Winters Bemühungen, ihn vor der wachsenden Unzufriedenheit seiner Mitarbeiter zu schützen, hatten Essian nur in seinem ablehnenden Verhalten bestärkt. Er wußte, daß er mit Winters würde reden müssen, aber noch nicht jetzt; nicht solange er noch diese Spannung zwischen ihnen fühlte. Keiner von den beiden hatte Winters Versuch der sexuellen Annäherung zur Sprache gebracht, und Essian hätte gerne gewußt, ob der massige Mann inzwischen der Überzeugung war, daß sein Freund einfach schon eingeschlafen gewesen sei. Die Frage, von der Essian wußte, daß er ihr schon seit Tagen auszuweichen versuchte, war, ob er wollte, daß Winters das glauben sollte. Lehnte er Winters nun eigentlich sexuell ab oder nicht? Die Frage, die er vor einem Monat noch nicht einmal zu denken gewagt hätte, kreiste jetzt ununterbrochen in seinem Gehirn, bis sie so leer wie eine Mantra-Formel war. Essian merkte, daß er den Inhalierapparat fast schmerzhaft fest gegen Mund und Nase preßte. Der Synthesizer in der hinteren Ecke der Bar begann ein Stück zu hämmern, das vor roher Sinnlichkeit nur so strotzte. Das Lärmen an der Musik verwirrte ihn. Warum nur schien ihm von überall her die Sexualität in irgendeiner Form entgegenzublicken, warum drang sie in seine Träume ein, und warum wurde sie ihm von seelenlosen Maschinen in den Kopf gehämmert? Er legte die Maske, durch die er die Droge eingeatmet hatte, mit der offenen Seite nach unten auf die Theke und wollte gerade aufstehen, als die schwarzhaarige Frau hereinkam und auf den Hocker neben ihm schlüpfte.
    Essians Körper verharrte in einer absurden Stellung auf seinem Stuhl, denn er hatte sich bereits halb erhoben, und sein Gehirn, das innerhalb weniger Minuten Gleichungen mit sechs Unbekannten lösen konnte, war von der einfachen Entscheidung, ob er nun gehen oder bleiben sollte, völlig überfordert. Schließlich setzte er sich wieder, aber er traute sich nicht, sich umzuschauen, aus Furcht, daß die anderen Gäste ihn belustigt anstarren würden. Seine Magennerven krampften sich zusammen, so als ob man ihn ohne Vorwarnung an einem einsamen Gestade abgesetzt hätte. Die Erinnerung an Winters, der sich im Schlafzimmer über ihn beugte, überlagerte plötzlich seine Wahrnehmung der Frau, und er beugte sich über den Tresen aus Onyx, während er dagegen ankämpfte und bemühte sich, die beiden Bilder zu entwirren. Die Vorstellung von Winters verblaßte. Aus Angst, die Frau womöglich zu verärgern, versuchte Essian sich ein Bild von ihr zu machen, ohne sie direkt anzuschauen: der Ton ihrer Haut war warm, und in dem schwarzen Haar, das schon fast bläulich schimmerte, glänzten silbern Reflexe; er nahm den zarten Duft ihres Parfüms war. Er hatte das Gefühl, das etwas geschah, was ihm bereits vertraut war, so als ob es bereits einmal geschehen war. Bruchstückhafte Erinnerungen an einen Traum, den er schon vergessen hatte, verwirrten ihn wie ein Nebel, der ihm die Sicht nahm. In dem Traum hatte sich ihm die Frau mit ausgestreckten Händen genähert, nur um dann durch ihn hindurchzugehen, ohne ihn auch nur zu berühren.
    Der Traum ängstigte ihn, rief gemischte Gefühle in ihm hervor. Seit Wochen war er jeden Abend wieder ins »Styx« gekommen, immer in der Hoffnung, der Frau hier noch einmal zu begegnen. Fünfmal war es ihm bisher gelungen. Jeder Blick von ihr hatte ihm mehr bedeutet, so als ob er sie bereits kennen würde, als ob ein einziger Blick in ihr Gesicht tausend gemeinsame Erinnerungen wachriefe. Es war wie ein Spiegelbild ihrer und seiner selbst;

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