Die Joghurt-Luege
fallen, so kann niemand mit absoluter Sicherheit ausschließen, dass oral aufgenommene, therapeutische Antibiotika nicht mehr wirken, |238| wenn sie der Patient kurz vor oder nach einer Mahlzeit mit transgenen Pflanzen einnimmt.
Zusammen mit den Genen, die der Nutzpflanze eine neue Eigenschaft verleihen sollen, bringen die Wissenschaftler nämlich auch Resistenzgene gegen Antibiotika in das Erbgut ein. Resistenzgene erfüllen dabei einen ähnlichen Zweck wie die Marke im Ohr einer Kuh: Sie dienen der bequemen Identifizierung und erfüllen sonst keinen besonderen Zweck. Die Markergene enthalten den Bauplan für ein Enzym, das für die Resistenz gegen Antibiotika verantwortlich ist. Tropfen die Forscher beispielsweise den Saft einer gentechnisch veränderten Pflanze auf einen antibiotikahaltigen Nährboden, können sie alsbald erkennen, ob der Gentransfer geklappt hat oder nicht – denn nur die Zellen, die das Resistenzgen tragen, wachsen in der Petrischale. Zwar kennen die Forscher keine direkten Gentransfermechanismen, die eine effiziente Übertragung der Resistenzgene aus den Pflanzen in die Darmmikroflora des Menschen ermöglichen. Diese sind jedoch auch noch nicht experimentell ausgeschlossen worden.
Aufgrund der anhaltenden Diskussionen hatte die britische Lebensmittelbehörde Food Standards Agency (FSA) im Jahr 2002 erste Ergebnisse mehrerer Studien veröffentlicht, die sie in Auftrag gegeben hatte. Darunter befand sich eine Untersuchung, durchgeführt an der Universität Newcastle, die tatsächlich Hinweise darauf gefunden hatte, dass Darmbakterien Pflanzen-DNS aufgenommen hatten. Nur: Jene Tests erfolgten nicht am intakten Verdauungssystem Gesunder, sondern bei Patienten mit einem künstlichen Darmausgang. Die Wissenschaftler hatten die Pflanzen-DNS aus einer Masse isoliert, die aus einer Phase des Verdauungsvorgangs stammt – quasi in einem Zwischenstadium, nicht im »Endprodukt Stuhl«. Die FSA gab sich gelassen, da die Wissenschaftler im Stuhl gesunder Probanden in keinem einzigen Fall Pflanzen-DNS nachweisen konnten.
Wenn auch die Untersuchungen die Zweifel der Genfood-Gegner zu bestätigen scheinen, eindeutige Antworten lieferten sie nicht. So ist nach wie vor nicht geklärt, ob die integrierten Gene auch biologisch aktiv werden können (was zu wissen äußerst wichtig ist, denn |239| nicht jedes Gen »arbeitet« automatisch, sobald es vorhanden ist). Solange Unsicherheit besteht, raten Fachleute von einer Verwendung von Antibiotikaresistenzgenen ab. Unter anderem rät die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit beim Robert-Koch-Institut zum prinzipiellen Verzicht. Derzeit arbeiten mehrere Forschungseinrichtungen und Firmen intensiv daran, Antibiotikamarker durch Stoffwechselmarker zu ersetzen.
Über den extrem komplizierten Mechanismus zwischen Fremdgenen und eigenem Erbgut ist so gut wie nichts bekannt. Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg warnten bereits Ende der 1990er Jahre vor dem, was bei einem Einbau geschehen kann: Bar jeder Kontrolle seien die an die Fremdgene gebundenen »Steuereinheiten«, so genannte Promotoren, durchaus in der Lage, auch im Erbgut des Menschen Abschnitte zu aktivieren, die normalerweise inaktiv bleiben. 57 Gentechnisch veränderte Erbsubstanz »hat das Potenzial, nach dem Verzehr von transgenen Nahrungsmitteln Zellen zu infizieren«, resümiert beispielsweise die Biochemikerin Mae-Wan Ho, die als wissenschaftliche Beraterin für Genetic Engineering und Biotechnologie bei der UNO und beim Europäischen Parlament arbeitete und: »Sie könnte krank machenden Viren zur Regeneration verhelfen, oder sie könnte sich in das Zellgenom einfügen – mit gefährlichen oder tödlichen Konsequenzen einschließlich Krebs.« 58
Während in der Pharmaforschung jedes Medikament von der Entwicklung bis zur Markteinführung ein fest definiertes Testsystem verschiedener klinischer Phasen durchlaufen muss, an dessen Ende die Erprobung der Wirkstoffe am Patienten steht, fehlen in der Nahrungsmittelbranche derartige Standards. Kein gentechnisch verändertes Lebensmittel muss sich je den hohen Ansprüchen einer pharmakologischen Prüfung unterziehen: Untersuchungen zur Verträglichkeit und zu Langzeitwirkungen bei Genfood nach dem Design der klinischen Studien gibt es nicht; Firmen halten aus Furcht vor Negativschlagzeilen Hinweise auf Nachteiliges zurück, falls sie dergleichen während ihrer unternehmensinternen Forschungen entdeckt haben
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