Die Joghurt-Luege
dem Sender ABC mutmaßte Higgins, dass die Reaktionen der Mäuse »etwas widerspiegeln, was auch bei Menschen passieren könnte« 49 . Inwieweit die Gene in das Erbgut der Mäuse integriert werden und ob diese überhaupt biologisch aktiv werden, ist unterdessen völlig unklar. |234| Fest aber steht, dass Bedenken nicht unbegründet sind, Wechselwirkungen und Gentransfer über die Nahrungsaufnahme nicht ausgeschlossen werden können. 50
Allergiegefahr durch transgene Pflanzen ?
Zu den häufigsten Einwänden zählt die Angst vor möglichen Allergien. Viele Allergiker befürchten, dass sich durch neue Gene vordem harmlose Lebensmittel plötzlich zu Gesundheitsrisiken auswachsen könnten. Obwohl solche Sorgen nicht unbegründet sind, ist ein Pauschalverdacht nicht angemessen, denn Allergien sind nicht zwingend etwas Gentechnikspezifisches.
Eine Allergie ist eine überschießende Reaktion des Immunsystems gegenüber bestimmten körperfremden Substanzen; »überschießend« deshalb, weil die Körperabwehr auf Fremdstoffe anspricht, die – anders als Krankheitskeime – eigentlich gar keine Gefahr darstellen. Prinzipiell kann jeder Stoff eine Allergie auslösen, etwa 20 000 Allergene sind mittlerweile bekannt. Meist handelt es sich um Eiweiße tierischer oder pflanzlicher Herkunft, auf die ein Allergiker reagiert. Die bekanntesten sind Proteine aus Fisch, Eiern, Milch, Nüssen, Milben oder Pollen. In Europa leiden zwischen 5 und 8 Prozent der Kinder und bis zu 2 Prozent der Erwachsenen unter einer Allergie.
Beim ersten Kontakt des Immunsystems mit dem Allergen geschieht zunächst nichts weiter, als dass es Antikörper (Immunglobuline des Typs IgE) gegen dieses Allergen bildet. Beim zweiten Kontakt gelangen die Antikörper über Blut oder Lymphe in das Gewebe. Die Antikörper suchen sich so genannte Mastzellen in den Organen des Lymphsystems, in der Schleimhaut von Mund, Nase und Augen, in den Atemwegen und im Darm. Die Mastzellen tragen auf ihrer Oberfläche zahlreiche Bindungsstellen für Antikörper. Gelingt es einem Allergen wie zum Beispiel einem Pollenkorn, über zwei Antikörper, die auf verschiedenen Mastzellen sitzen, eine Brücke zu schlagen, ist das das Signal für die Mastzellen, ihre gespeicherten Substanzen freizugeben. Diese Substanzen (zum Beispiel Histamin) sind für die allergische Reaktion verantwortlich.
|235| Wenn nun ein fremdes Gen in das Erbgut einer Pflanze eingeschleust wird, dann sorgt es dafür, dass die Pflanzenzellen ein neues Eiweiß bilden. Ob das neue Protein ein Allergieauslöser sein kann, ist nicht sicher, doch die Gefahr besteht. Für gentechnisch veränderte Pflanzen gibt es ein von der WHO erarbeitetes Protokoll für eine intensive Allergenitätsprüfung, sowohl für die betreffenden Pflanzen als auch für deren Pollen. Solche Vorschriften existieren übrigens nicht bei herkömmlichen Lebensmitteln. Bei der Bewertung der potenziellen Allergenität analysieren die Forscher drei Faktoren: Zum Ersten untersuchen sie den Spenderorganismus als Quelle des Fremdgens, zum Zweiten vergleichen sie das neue Eiweiß mit bekannten Allergenen und zum Dritten testen sie die Immunglobulin(IgE)-Reaktionsfähigkeit mit Seren von Allergikern. Laut der Kommission Grüne Gentechnik der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften Berlin ist »das Allergenitäts-Risiko bei genetisch veränderten Organismen deutlich geringer einzuschätzen als bei Produkten einer konventionellen Züchtung« 51 . Allerdings: Selbst solche Tests können nicht sämtliche Risikofaktoren identifizieren. Zum Beispiel besitzt ein einzelnes Allergen viele kleine Bereiche, und gegen all diese kann das Immunsystem Antikörper bilden. Manche dieser kleinen Bereiche 52 werden in solchen Tests nicht mit erfasst.
Noch 1992 standen den Forschern weniger potente Tests zur Verfügung. Damals konstatierte die US-amerikanische Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA), dass im Moment keine Methode bekannt sei, die es ermögliche, vorherzusagen oder festzustellen, inwieweit neue Proteine in Nahrungsmitteln das Potenzial besitzen, Allergien auszulösen. Drei Jahre später gelangte das Umweltbundesamt zum gleichen Ergebnis, 53 und auch der Lebensmittelkonzern Nestlé schrieb in einem Kommentar für das Fachblatt New England Journal of Medicine , »dass es keine zuverlässigen Methoden gibt, das Allergiepotenzial eines neuen nahrungsmittelfremden Proteins im Vorhinein abzuschätzen« 54 .
Wie verhängnisvoll die Unkenntnis
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