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Die Joghurt-Luege

Titel: Die Joghurt-Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlad D. Georgescu , Marita Vollborn
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Prozent im Jahr 2002 fast verdoppelt hat. 81
    Als schließlich weitere Messungen ebenso dramatisch ausfielen wie in den vorangegangenen Jahren, sahen sich die Landesbehörden und Staatsanwaltschaften in der Pflicht, Ermittlungen und verbesserte Überwachungen zumindest anzukündigen. Auch der Deutsche Bauernverband kritisierte die Verstöße, und der Industrieverband Agrar (IVA) erklärte, 2006 nicht zugelassene Pestizide vorübergehend zurückzunehmen.
    Wirklich viel passiert ist seitdem jedoch nicht. »All die Ankündigungen und Empörungsrufe der Bauern- und Industrievertreter blieben bislang ohne Konsequenzen. Unser Test zeigt, dass der Einsatz illegaler Pestizide in Deutschland weit verbreitet ist. Die Gemüsebauern stehen den Obstbauern beim Spritzen verbotener Mittel in nichts nach. Diesem Treiben muss der neue Landwirtschaftsminister Seehofer gemeinsam mit den Agrarministern der Länder rigoros ein Ende setzen«, forderte Krautter im Spätherbst 2005. 82
    Für Verbraucher sind solche Kämpfe wenig hilfreich, solange sich am System der Überwachung nichts ändert. Kaum jemand ist sich bewusst, was alles in Salat & Co. steckt. So war selbst Greenpeace im Jahr 2002 unbekannt, welche Pestizide die besonders gefährlichen Chemikalien Nonylphenol (NP) oder Nonylphenolethoxylate (NPE) enthielten. Weil sich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) weigerte, eine Liste der infrage kommenden Pestizide vorzulegen, verklagte Greenpeace das Amt vor dem Verwaltungsgericht in Köln. 83 Greenpeace vermutete, dass durch den Einsatz dieser Spritzmittel das giftige Nonylphenol in zahlreiche Lebensmittel gelangt. Nonylphenol ist das Abbauprodukt von NPE. NPE wiederum ist in der Lage, das menschliche Immunsystem zu schädigen, das Hormonsystem zu stören und sich in der Muttermilch anzureichern. Es ist schwer abbaubar.
    Den Fall als Scharmützel zwischen Umweltschützern und staatlichen Stellen abzutun, widerspricht der Vernunft: Im April 2002 war |262| Nonylphenol bei Rückstandsuntersuchungen erstmals tatsächlich in Lebensmitteln und in der Muttermilch nachgewiesen worden. Die chemische Industrie produziert weltweit 700 000 Tonnen dieser Substanz, 6 Prozent werden in Pestiziden eingesetzt. Allein in Deutschland gelangen auf diese Weise jährlich 500 Tonnen NPE auf Obst, Gemüse und Getreidepflanzen.
    Die Auseinandersetzung um einzelne Substanzen lenkt den Blick vom Ganzen auf das Beispiel. Zu Unrecht, denn der Mensch von heute lebt in einer Umwelt, die sich von der seiner Vorfahren vehement unterscheidet: Nie zuvor war er mehr Allergenen und toxisch wirkenden Stoffen in Reinigungsmitteln, Kosmetika, Pflanzenschutzmitteln, Nahrungsgütern und Medikamenten ausgesetzt, nie zuvor war seine Lebenswelt mehr von Globalisierung und Industrialisierung geprägt, die seinen Organismus mit immer neuen Substanzen in immer neuer Kombination konfrontieren. So stellt sich mittlerweile die entscheidende Frage nach der Dosis, die das Gift macht. Welchen Einfluss Mehrfachrückstände in Lebensmitteln auf die Gesundheit haben, welche Wechselwirkungen auftreten können, welche Mechanismen zur Erkrankung führen oder sie verhindern – das alles ist größtenteils ungeklärt. Zwar zieht das BfR für einige wenige Wirkstoffgruppen so genannte Summenhöchstwerte heran, zum Beispiel für bestimmte Insektizide und Fungizide, die ähnlich wirken. Jedoch werden die meisten Stoffe nach wie vor nur einzeln bewertet. Grundlage für die gesundheitliche Beurteilung sind aus Studien abgeleitete Kennzahlen für die Langzeitaufnahme sowie die akute Giftigkeit des Wirkstoffs. In der Regel liegen zwar zwischen den festgelegten Höchstmengen und den Konzentrationen, die im Tierversuch giftig wirkten, zwei- bis dreistellige Sicherheitsspannen. Doch weil Daten zu den Verzehrgewohnheiten der Verbraucher kaum vorliegen, ist eine abschließende Beurteilung schwierig. Jeder Mensch isst eben anders. Letztlich kann kein Grenzwert garantieren, dass es nicht zu Kombinationswirkungen kommen kann: Pestizidrückstände, Zusatzstoffe und Tierarzneimittel – sie alle sind in modernen Nahrungsmitteln enthalten und mischen sich zu einem gefährlichen Cocktail.
    Wer sicher essen will, kauft Bio. Im Gegensatz zum konventionellen Landbau, der geprägt ist vom Einsatz chemisch-synthetischer |263| Düngemittel, von Pestizid- und (prophylaktischem) Antibiotikaeinsatz sowie von Massentierhaltung und starker Mechanisierung, verzichtet der ökologisch

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