Die Joghurt-Luege
sinnvoll und zeitgemäß. Ob sie aber in erster Linie das Verbraucherwohl im Auge haben, sei dahingestellt. Schließlich war auch das deutsche Lebensmittelrecht eines der strengsten der Welt – bis im Zuge der EU der hohe Anspruch den wirtschaftlichen Interessen der Mitgliedsstaaten geopfert wurde. Aus deutscher Sicht bedeutet eine Harmonisierung, bestehende strengere Regelungen »aufzuweichen« – ein Kompromiss, bei dem zweifellos das Niveau sinken wird. Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigt |257| schon die Umsetzung der 1991 von der EU erlassenen »Richtlinie über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln«, das 1998 mit dem Pflanzenschutzgesetz in nationales Recht umgewandelt wurde. Anhand gemeinschaftlich erarbeiteter Grundsätze und Kriterien für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln entscheidet zwar bislang noch immer der einzelne Mitgliedsstaat. Aber diese sind – trotz gegenteiliger Beteuerungen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) – weniger hart. Das belegen Zahlen: Nach Umsetzung der Richtlinie zwischen 1999 und 2003 sind zwar 385-mal Höchstmengen gesenkt, jedoch auch 739-mal Grenzwerte erhöht worden. Seit 2001 wurden bei insgesamt 126 Pestizidwirkstoffen die für pflanzliche Lebensmittel geltenden Grenzwerte angehoben, hat Greenpeace festgestellt. 33 dieser Spritzmittel gelten als hochgefährlich. Zwei Beispiele:
Methomyl Der Grenzwert des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als »höchst gefährlich« eingestuften Insektizids wurde in Mandarinen und Zitronen um das 20fache, in Tomaten und Pflaumen um das 10fache erhöht. Es wirkt wie ein Hormon.
Dimethoat wird vom internationalen Pestizid-Aktions-Netzwerk als »besonders schädlich für Mensch und Umwelt« beurteilt. Der Grenzwert in Kirschen wurde um das 20fache, der in Frühlingszwiebeln um das 40fache angehoben. Es kann die Entwicklung des Fötus stören und steht im Verdacht, Krebs auszulösen. 77
Umwelt- und Verbraucherverbände befürchten, dass eine Positivliste, wie sie von der EU geplant ist, gefährliche Wirkstoffe wieder salonfähig machen könnte, darunter Fenthion oder Azinphosmethyl. Ein Handel mit diesen Stoffen wäre dann ganz legal möglich. Der Druck der Industrie ist so enorm, dass sich die EU-Parlamentarier wahrscheinlich sogar beugen werden, die extrem toxischen Organophosphate aufzunehmen. Sicher, der illegale Handel mit bislang verbotenen Pestiziden blüht. In den beiden Studien »Pflanzenschutzpolitik in Deutschland« und »Giftspritze außer Kontrolle« konnte der Naturschutzbund Deutschland (NABU) zeigen, dass deutsche Landwirte vielfach gegen gesetzliche Regelungen verstoßen. Sie bestellen regelmäßig |258| verbotene Pestizide übers Internet, darunter Atrazin, E 605 und Lindan. Im Obstanbaugebiet »Altes Land« wurden permanent nicht zugelassene Präparate eingesetzt. Eine interne Rückstandsanalyse des Lebensmitteluntersuchungsamtes Oldenburg wies nach, dass bei der Hälfte der 124 Proben Spritzmittelreste nachgewiesen wurden.
Pestizide im Essen bergen ein akutes Gesundheitsrisiko. Sie wirken toxisch auf den Organismus, können die Zellteilung stören, das Erbgut verändern, die Krebsentstehung vorantreiben, das Immunsystem schädigen, Allergien auslösen. Tierstudien haben einen Zusammenhang zwischen Pestizidbelastung und Fortpflanzungsstörungen belegt. Auch für den Menschen gibt es entsprechende Hinweise. Beispielsweise fanden Wissenschaftler des US-amerikanischen National Institute of Environmental Health Sciences (NIEHS) im Urin von Männern mit verringerter Spermienzahl und -qualität erhöhte Mengen der Pestizide Alachlor, Atrazin und Diazinon, bei manchen von ihnen auch 2,4-D und Metolachlor. Bekannt ist auch, dass hormonell wirkende Substanzen bereits in geringsten Konzentrationen fatale Auswirkungen haben können – besonders bei Föten. Seit vielen Jahren beobachten Forscher solche Effekte in der Tierwelt. Missbildungen, Unfruchtbarkeit, Veränderungen im Gehirn und damit verbundene Verhaltensauffälligkeiten können die Folge sein. Während vor allem Landwirte als Anwender akut gefährdet sind, senkt sich über den Köpfen der Verbraucher das Damoklesschwert Stück für Stück tiefer. Pestizide wirken langsam und zeitversetzt. Über die Nahrung und das Trinkwasser nimmt der Mensch täglich kleinste Mengen auf – Grenzwerte, die übrigens eher selten überschritten werden, sollen ihn in Sicherheit wiegen. Tabelle 29 listet
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