Die Joghurt-Luege
Lebensmittel
Quellen: u.a. zusammengestellt aus Veröffentlichungen des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherhit (LGL) Bayern, Schweizerisches Bundesamt für Gesundheit, Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (BFEL)
Acrylamid ist eine reaktionsfreudige Substanz – aus Gesundheitssicht eine verhängnisvolle Eigenschaft. Denn es bildet im Körper eine Reihe von Verbindungen, die teils im Urin, teils im Blut zu finden sind. In der Leber wird Acrylamid zu Glycidamid umgebaut; beide Stoffe lagern sich an den roten Blutfarbstoff Hämoglobin an. Die hierbei entstehende stabile Verbindung, das so genannte Addukt, gibt über die Belastung des Organismus mit dem Gift Auskunft und kann mittels Gaschromatographie und Massenspektrometrie nachgewiesen werden. Neben seiner Reaktionsfreudigkeit spielt die Resorptionsfähigkeit eine entscheidende Rolle. Acrylamid wird gut vom Körper aufgenommen, schnell und gleichmäßig im Organismus verteilt. Acrylamid und sein Abbauprodukt Glycidamid verändern und schädigen das Erbgut. In Tierversuchen rief Acrylamid vererbbare |266| Schäden an Chromosomen der Körper- und Keimzellen hervor. In verschiedenen Organen der Versuchstiere löste Acrylamid die Bildung bösartiger Tumore aus. Das sind auch die Gründe, warum der Stoff in die Kategorie 2 der krebserzeugenden Substanzen eingestuft wurde. Laut Definition handelt es sich hierbei um solche Substanzen, von denen angenommen wird, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko beim Menschen leisten. Fachleute sind sich nicht einig, wie hoch sie das von Acrylamid ausgehende Krebsrisiko beziffern sollen. Ursache sind verschiedene Berechnungsmodelle. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass pro einer Million Einwohner 700 Menschen mehr an Krebs erkranken; das US-amerikanische Umweltbundesamt (EPA) rechnet mit 4 500 zusätzlichen Fällen.
Im »Umweltgutachten 2004« 84 stellte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) als wissenschaftliches Beratungsgremium der Bundesregierung fest:
»Nach dem momentanen Kenntnisstand muss davon ausgegangen werden, dass das Krebsrisiko für die allgemeine Bevölkerung durch die tägliche Aufnahme von Acrylamid mit der Nahrung außerhalb des tolerierbaren Bereichs liegt. Derzeit rechnet man in Deutschland mit etwa 10 000 (von 335 000 insgesamt) Krebsneuerkrankungen pro Jahr, die dadurch verursacht werden. […] deshalb ist es notwendig, […] das Risiko für jeden Einzelnen so weit wie möglich zu minimieren.«
Neben seiner Karzinogenität kann Acrylamid noch andere Schäden anrichten. In Tierversuchen beeinträchtigte die Substanz die Fruchtbarkeit, in hohen Dosen von 0,5 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht und Tag schädigt es die Nerven. Schätzungen gehen davon aus, dass die durchschnittliche Belastung der Bevölkerung bei rund 0,3 bis 0,8 Mikrogramm je Kilogramm Körpergewicht und Tag liegt – damit also um den Faktor 1 000 niedriger. Allerdings sind Kinder und Jugendliche, die verhältnismäßig viel Pommes und Chips konsumieren, erheblich mehr gefährdet. Bei ihnen verringert sich dieser »Sicherheitsabstand« schnell auf den Faktor 10.
Trotz der vielen Hinweise über die toxischen Eigenschaften der Verbindung bleibt eine ganze Reihe wichtiger Fragen offen. So lässt |267| sich aufgrund der vielen Einflussfaktoren nach wie vor nicht genau vorhersagen, wie viel Acrylamid unter welchen technologischen Bedingungen im Lebensmittel gebildet wird. Weil eine abschließende Risikobewertung so schwierig ist, können sich Behörden nicht dazu durchringen, einen Grenzwert festzulegen. Für Deutschland hatte das ehemalige Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) einen »Aktionswert« von 1 000 Mikrogramm pro Kilogramm Lebensmittel empfohlen. Dieser Aktionswert wird derzeit durch produktgruppenspezifische Signalwerte ergänzt, die das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) regelmäßig aktuellen Erkenntnissen anpasst (siehe Tabelle 31). Trinkwasser darf maximal 0,1 Mikrogramm pro Liter Acrylamid enthalten. Für Körperpflegemittel, die nicht abgewaschen werden, ist ein Wert von 0,1 Milligramm pro Kilogramm vorgegeben; für andere Kosmetika ist ein Wert von 0,5 Milligramm pro Kilogramm vorgeschrieben.
Tabelle 31: Signalwerte für Lebensmittel
Quelle: ALLUM, das Informationsangebot für Allergie, Umwelt und Gesundheit 85
|268| Vorbeugend hatte die Bundesregierung ein
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