Die Judas-Papiere
zwi schen Byron und Harriet. »Nun ja, das ist wohl ganz verständlich. Gräfliche Grundherren haben sich bei der einfachen Landbevölke rung noch nie großer Sympathien erfreut. Zudem muss man wissen, dass sich das Geschlecht derer von Kovat über Jahrhunderte hinweg sowohl in Siebenbürgen als auch auf dieser Seite der Karpaten in der Walachei und der Moldau einen besonders üblen Ruf erworben hat. Einige von ihnen sind gar als besonders berüchtigte Schlächter in die Geschichte des Balkans eingegangen. Ein Vorfahr des derzeitigen Grafen hat nicht nur gefangene Feinde zu Hunderten aufspießen las sen, sondern auch derart blutrünstig unter der eigenen Bevölkerung gewütet, dass man ihn den ›Pfähler‹ genannt hat.« Er zögerte kurz, bevor er hinzufügte: »Nach Blut hat es diesem Geschlecht zu allen Zeiten gedürstet.«
»Das klingt in der Tat erschreckend und wirft kein gutes Licht auf dieses Grafengeschlecht«, sagte Byron. »Aber lassen Sie uns nicht über die Vorfahren, sondern über den Grafen reden, der jetzt den Ti tel trägt und auf Burg Negoi wohnt. Was können Sie uns über diesen Mann berichten, Mister Golding? Und wissen Sie vielleicht auch, auf welchem Weg wir die Burg erreichen können?«
»Bevor ich darauf antworte, erlauben Sie mir bitte zuerst die Ge genfrage, was Sie und Ihre Begleiter zu ihm führt«, sagte Matthew Golding ausweichend.
Byron tischte ihm nun die Geschichte auf, die sie sich im Orient-Ex press für Graf Kovat zurechtgelegt hatten. Demnach hatte er, Byron Bourke, von Lord Pembroke den Auftrag erhalten, eine umfassende Biografie seines weltreisenden und jüngst verstorbenen Bruders zu schreiben und dazu eine lange Reihe von Persönlichkeiten, die ihn gut gekannt hatten, in mehreren Ländern der Welt nach ihren Erinnerun gen an Mortimer Pembroke zu befragen. Horatio Slade obliege die eh renvolle Aufgabe, für diese Biografie zahlreiche Zeichnungen von Mortimers einstigen Weggefährten sowie Landschaftsbilder beizu steuern, die in dem Buch als Stiche gedruckt werden sollten.
»Und was Mister McLean und meine Schwester betrifft, so haben sie es sich nicht nehmen lassen, sich dieser außergewöhnlichen Rei se zum Zwecke der Bildung und anregenden Zerstreuung anzu schließen«, kam Byron zum Schluss seiner Ausführungen. »Meine Schwester Harriet . . .«
»So ist es!«, fiel ihm Alistair forsch ins Wort, und bevor Byron es verhindern konnte, teilte er Matthew Golding mit einem fröhlichen Grinsen mit: »Wobei noch hinzuzufügen wäre, dass ich das unver schämte Glück habe, mit seiner zauberhaften Schwester verlobt zu sein. Harriet und ich gedenken, nach dieser Reise zu heiraten.«
Byron schluckte und musste an sich halten, um ihm nicht spontan zu widersprechen, denn im Zug hatten sie etwas ganz anderes ver abredet. Aber nun war es dafür zu spät.
Um Harriets Mundwinkel zuckte es sichtlich amüsiert, als fände sie Gefallen an der überraschenden Wendung, die Alistair ihrer Lügengeschichte hinzugefügt hatte. »›Unverschämt‹ ist wahrlich das passende Wort, mein lieber Alistair!«, flötete sie und klimperte mit den langen Wimpern wie ein unsterblich verliebter Backfisch. »Aber wer könnte deinem außergewöhnlichem Charme auch widerstehen, nicht wahr?«
Byron zog sich der Magen zusammen. Am liebsten hätte er in die sem Moment Alistair den Hals umgedreht, damit dieses unver schämt umwerfende Lächeln von dessen Gesicht verschwand. Aber er musste gute Miene zum bösen Spiel machen. Allerdings konnte er sich die bissige Bemerkung »So schnell wirst du die Hochzeitsglo cken wohl kaum hören!« trotzdem nicht verkneifen.
»Mein Glückwunsch«, sagte Matthew Golding höflich zu Harriet und Alistair, ohne etwas von den Zwischentönen des kurzen Wort wechsels mitbekommen zu haben.
»Nun bin ich gespannt, ob Sie uns weiterhelfen können, Mister Gol ding!«, sagte Byron, um den Anwalt daran zu erinnern, dass seine Antwort noch ausstand.
Dieser schwieg eine Weile, als überlegte er angestrengt. Er ließ sich wahrlich Zeit. Und dann wandte er auch noch den Kopf ab und hustete mehrfach in sein Taschentuch.
Endlich kam er wohl zu einem Entschluss, wandte sich ihnen wie der zu und sagte: »Ja, ich kann Ihnen tatsächlich weiterhelfen. Wir können morgen gemeinsam zur Burg Negoi aufbrechen. Graf Kovat erwartet mich.«
»Was Sie nicht sagen!«, stieß Horatio überrascht hervor. »Ist er ei ner Ihrer Kunden?«
Der Anwalt nickte. »Er könnte zumindest einer werden, wenn ihm
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