Die Judas-Papiere
mit einem leisen Lachen wieder zu, leckte sich über die Lippen und sagte mit weicher Stimme: »Nur ge mach, holde Lebensspenderin! Noch ist längst nicht genug Blut aus deinem Leib geflossen. Und bald wirst auch du wissen, zu welch nob ler Bestimmung ich dich und deine Gefährtin bestimmt habe!« Und damit beugte er sich wieder zu ihr hinunter.
Byron schauderte, als ihn nun die Erkenntnis traf, dass Graf Dracula das Blut der Frauen trank, das er ihnen irgendwie aus dem Leib saug te. Vermutlich mit seinen nadelspitzen Zähnen, auch wenn diese Annahme irrwitzig erschien und allem widersprach, was die Wissenschaft über die Natur und Funktionsweise des menschlichen Organismus lehrte. Ihm war, als durchlebte er einen diabolischen Albtraum.
Benommen wie ein schwer angeschlagener Boxer im Ring taumelte er von der Tür zurück und wankte durch den finsteren, eiseskalten Gang. Ihn fror, doch noch weit mehr von innen heraus als von der win terlichen Kälte, die sich in dem dicken Gemäuer eingenistet hatte. Das Blut rauschte ihm in den Ohren und noch immer stand ihm das ab scheuliche Bild von Graf Draculas blutbeflecktem Gesicht vor Augen.
Wie ein Rohr im Wind schwankte er den Gang entlang, bog um die scharfe Biegung des Korridors und lief einer dunklen Gestalt gerade wegs in die Arme.
»Weiche von mir, Satan!«, zischte eine heisere Stimme vor ihm und presste ihm etwas Kaltes, Hartes auf die Stirn.
Erschrocken zuckte Byron zusammen. Doch er hatte die Stimme erkannt. »Mister Golding?«, stieß er hervor.
Augenblicklich verschwand der kalte Gegenstand von seiner Stirn und der Anwalt antwortete gedämpft: »Dem Himmel sei Dank, dass nur Sie es sind!« Unendliche Erleichterung lag in seiner Stimme. »Ich fürchtete schon, Dracula in die Arme gelaufen zu sein.«
»Ich habe ihn gesehen . . . gerade ...im Zimmer der Frauen«, stam melte Byron. »Mein Gott, es...esist so entsetzlich! . . . Ich weiß gar nicht, wie...ich es Ihnen erklären soll, was ich in dem Zimmer ...in dem Zimmer soeben gesehen habe!«
»Sie brauchen mir nichts zu erklären, Mister Bourke!«, raunte Matthew Golding. »Ich weiß mehr über diesen Teufel, als Sie vermut lich wissen wollen.«
»Wir müssen reden!« Byron wollte ihn am Arm packen. Doch seine Hand berührte in der Dunkelheit etwas, das er sogleich als ein Kruzifix ertastete. Jetzt wusste er auch, was ihm Matthew Golding an die Stirn gepresst hatte. Auch stieg ihm der unverkennbare Geruch von Knoblauch in die Nase.
»Ja, die Zeit ist wohl gekommen!«, flüsterte der Anwalt. »Aber um Gottes willen nicht hier. Wecken Sie Ihre Freunde und kommen Sie alle zu mir. Aber machen Sie bloß keinen Lärm, wenn Ihnen Ihr Le ben und das Ihrer Gefährten lieb ist!«
12
I n ihre Morgenmäntel gewickelt und mit blassen Gesichtern saßen sie in der kleinen Wohn-und Schreibstube, die durch einen breiten, rund gemauerten Durchgang mit dem Schlafzimmer des Anwaltes verbunden war.
Es hatte Byron einiges an Mühe gekostet, Harriet, Alistair und Ho ratio leise aus dem Schlaf zu holen und zu überzeugen, dass diese nächtliche Unterredung mit Matthew Golding von höchster Dring lichkeit war. Und dann hatten sie im Zimmer des Anwaltes mit wach sender Fassungslosigkeit seinem Bericht über das unglaubliche Ge schehen gelauscht, dessen Zeuge er vor wenigen Minuten im Zim mer der beiden Amerikanerinnen geworden war.
»Unmöglich!«, platzte Alistair heraus, kaum dass Byron ihnen alles geschildert hatte. »Der Graf soll den beiden Frauen das Blut aus dem Leib saugen? Da müssen Sie einen wirren Traum gehabt haben!«
Horatio nickte. »Verzeihen Sie mir meinen Unglauben, Byron. Aber was Sie da gerade erzählt haben, klingt auch mir sehr nach Spuk-und Gespenstergeschichten, die sich ein Schreiberling mit allzu blühen der Fantasie aus den Fingern gesogen hat.«
Harriet dagegen schwieg mit bestürzter Miene. Und Byron wusste, woran sie in diesem Moment dachte, nämlich an das, was sie im Mor gengrauen die Burgmauer erklimmen gesehen hatte.
»Sie irren!«, ergriff nun Matthew Golding das Wort. »Es hat sich al les haargenau so zugetragen, wie Mister Bourke es Ihnen beschrie ben hat.«
Alistair bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. »Was Sie nicht sagen! Standen Sie vielleicht an seiner Seite?«
»Nein, aber das war auch nicht nötig, um zu wissen, dass er die Wahrheit sagt. Graf Dracula ist ein Vampir, meine Herrschaften«, er öffnete ihnen der Anwalt. »Ein sogenannter Un-Toter, der nicht ster ben kann. Er
Weitere Kostenlose Bücher