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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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zu, insbesonde re ging es um englische Sitten und Gebräuche, an denen der Graf ein geradezu unerschöpfliches Interesse zeigte. Später kreiste ihre Un terhaltung um die kriegerische Geschichte des Balkans und um die Familiengeschichte des Grafen, die eng damit verwoben war.
    Er erwies sich dabei als kundiger Erzähler, dem es ein sichtliches Vergnügen bereitete, Stunde um Stunde mit ihnen zu plaudern. Es war, als hätte er keinen anstrengenden Tag hinter sich, sondern wä re, wie erfrischt nach einem langen Schlaf, nun begierig darauf, sozu sagen die Nacht zum Tag zu machen.
    Irgendwann erkundigte sich Matthew Golding, der sonst wenig zu der allgemeinen Unterhaltung beitrug, nach den beiden anderen weiblichen Gästen, die der Graf in der vorherigen Nacht bei ihrem Eintreffen kurz erwähnt hatte, und fragte, warum sie ihnen jetzt nicht Gesellschaft leisteten.
    »Sie haben es vorgezogen, die Mahlzeiten auf ihrem Zimmer zu sich zu nehmen, denn sie bedürfen noch einige Zeit strengster Bett ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen«, teilte Graf Dracula ihnen mit. »Diese beiden mutigen und unternehmungslustigen Amerikane rinnen, die eine für Frauen höchst verwunderliche Leidenschaft für Bergbesteigungen besitzen, haben sich wohl etwas zu viel zugemu tet, als sie vor einigen Tagen beschlossen, auf eigene Faust die Kar paten zu erkunden. Mir scheint, dass Amerikaner ganz allgemein et was maßlos in ihrer Selbsteinschätzung sind und sich oft rüde über die wohlbedachten Konventionen unserer Zeit hinwegsetzen. Nun, wie dem auch sei, sie haben sich jedenfalls in den Schluchten des Ne goi verirrt, was keinen verwundern dürfte, der mit meiner Heimat vertraut ist. Nur dank einer glücklichen Fügung hat ihr Irrweg sie ge rade noch rechtzeitig zu mir geführt. Sonst hätten sie in den Bergen vor Erschöpfung den Tod durch Erfrieren gefunden.«
    »Dann dürfen sie sich wahrlich glücklich schätzen, Schutz und Für sorge unter Ihrem Dach gefunden zu haben«, sagte der Anwalt merk würdig schmallippig.
    Der Graf nickte. »Sie sagen es, mein Bester. Ich lasse ihnen in der Tat meine ganz besondere Fürsorge angedeihen«, bekräftigte er und lenkte ihre Unterhaltung in eine neue Richtung.
    Byron und seine Gefährten gaben sich Mühe, mit der Lebhaftigkeit und Plauderlust ihres Gastgebers mitzuhalten. Doch nach gut zwei Stunden machte sich bei ihnen eine bleierne Müdigkeit breit, gegen die sie bald auch mit bestem Willen nicht mehr ankamen. Es wurde höchste Zeit für sie, sich hinauf in ihre Zimmer zu begeben und sich schlafen zu legen. Der Anwalt schloss sich ihnen an, als sie sich von der Tafel erhoben.
    Graf Dracula bedauerte, dass ihre anregende Unterhaltung schon jetzt ihr Ende fand, zeigte jedoch Verständnis für ihre Müdigkeit und ihr Verlangen, zu Bett zu gehen, und er wünschte ihnen eine erholsa me Nacht.
    Dabei verabschiedete er sich mit den Worten: »Möge die Nacht Sie mit neuen Lebensgeistern erfüllen!«
    Byron fand nichts sonderlich Bemerkenswertes an diesem Wunsch. Doch er ahnte nicht, dass ihm dessen wahre Bedeutung schon wenige Stunden später auf schaurige Weise offenbar werden sollte.

11
    D as Feuer im Kamin war heruntergebrannt und von der Glut kam nur noch ein schwaches Glimmen, als Byron nach nicht einmal zwei Stunden Schlaf erwachte. Schuld an dem frühen Erwachen war seine volle Blase, die nach Entleerung verlangte. Als er aufstand und die Beine über die hohe Bettkante schwang, spürte er auch noch ein Ru moren in seinen Gedärmen. Er vermutete, dass die scharf gewürzte Paprikasoße des Wildbratens für dieses körperliche Unbehagen ver antwortlich war.
    Schon hatte er den Nachttopf unter seinem Bett hervorgezogen, als er es sich anders überlegte. Die Vorstellung, sein Geschäft in die sen alten, abgestoßenen Porzellanbehälter zu verrichten und am Morgen mit recht unerfreulichen Gerüchen im Zimmer zu erwachen, behagte ihm nicht. Deshalb beschloss er, den unerquicklichen Gang durch den eiskalten Korridor zum stillen Gemach auf sich zu neh men. Das schien ihm das geringere der beiden Übel zu sein.
    Rasch fuhr er in seine Pantoffeln, griff zum Morgenmantel und warf ihn sich über. Er verzichtete darauf, eine Kerze anzuzünden und auf den kurzen Weg zum vorspringenden Erker mitzunehmen.
    Eisige Kälte umfing ihn auf dem nachtfinsteren Korridor. Er beeilte sich und tastete sich dann an der Wand entlang zu seinem Zimmer zurück.
    Was ihn dazu veranlasste, an seinem Zimmer vorbeizugehen und dem

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