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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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mittlerweile sein musste. Es war ihm ein Rätsel, dass sie bei dem frostigen Wind nicht schon längst das Gefühl in Händen und Füßen verloren hatte. Was musste es sie für eine unglaubliche Willenskraft kosten, der Kälte so eisern zu trotzen, die Balance auf dem lächerlich schmalen Vorsprung zu wahren und sich Stück um Stück näher an den Turm des Vampirs zu schieben.
    Ihm war, als wäre die Zeit stehen geblieben oder hätte sich zumindest unerträglich verlangsamt. Jede Sekunde, die verstrich, wurde ihm zu einer körperlichen und seelischen Qual. Denn jede Sekunde konnte der Tod sie ereilen.
    Van Helsing, Alistair und Horatio sahen plötzlich, wie Byron am Fenster zusammensackte und kraftlos an der Wand zu Boden glitt. Tränen schossen ihm aus den Augen und liefen ihm über das Gesicht.
    »Nein!«, schrie Alistair auf.
    »Ist sie . . .?« Van Helsing stockte mitten in der Frage.
    Byron sah mit einem Lächeln unsäglicher Erlösung zu ihnen auf. »Sie hat es geschafft!«, teilte er ihnen unter Tränen mit. »Sie ist in Draculas Turm! Harriet hat das Unglaubliche vollbracht und wird uns von drüben aus die Tore öffnen. Wir sind gerettet!«

16
    H arriet zitterte wie Espenlaub, als die Männer ihr unten im Gang vor dem Rittersaal einen jubelnden Empfang bereiteten und ihr den Dank und die Bewunderung zollten, die ihr gebührten.
    Sie hatten sofort nach Byrons erlösender Nachricht all ihr Gepäck, Harriets abgelegte Kleidung sowie die Knoblauchgebinde und die Kreuze an sich genommen und sich auf schnellstem Weg nach unten begeben. Es hatte jedoch noch eine Weile gedauert, bis Harriet den Weg vom anderen Wohnturm zu ihnen gefunden und die vorgeleg ten Balken vor den Zwischentüren aus ihren Halterungen gewuchtet hatte. Diese Zeit hatte Byron genutzt, um das Feuer im Kamin neu zu entfachen und einen ganzen Stoß Scheite in das Glutbett zu legen. Denn er wusste, dass Harriet halb erfroren sein musste, wenn sie endlich wieder zu ihnen stieß.
    So verhielt es sich auch. Harriet musste sich erst vor dem Feuer aufwärmen, weil ihre eiskalten Hände es ihr unmöglich machten, sich sogleich wieder anzuziehen. Byron hatte ihr sofort seinen Mantelumhang über die Schulter geworfen, damit sie in ihrem halb nackten Zustand nicht den Blicken der Männer schutzlos ausgesetzt war.
    »Sehen wir zu, dass wir zum Stall kommen und die Pferde vor den Schlitten spannen!«, drängte Alistair, kaum dass sich Harriet in der Lage fühlte, sich wieder anzuziehen. »Horatio und ich können das doch schon mal übernehmen!«
    »Warten Sie!«, hielt van Helsing sie zurück. »Das ist das Dümmste, was Sie tun können! Denn wenn Sie jetzt kopflos aufbrechen, wer den Sie Dracula trotz des Wunders, das Miss Harriet vollbracht hat, nicht entkommen!«
    »Wieso denn nicht?«, fragte Horatio verblüfft.
    »Bis zum Sonnenuntergang ist es höchstens noch eine halbe Stun de hin. Dann steigt der Vampir aus seinem Grab und wird sogleich Ih re Verfolgung aufnehmen!«, sagte van Helsing. »Und eine Fledermaus fliegt schneller durch solch eine Winternacht, als ein noch so schnel les Gespann in dieser Bergwelt vorankommt! Vergessen Sie nicht, dass Piteschti selbst bei gutem Wetter viele Stunden entfernt liegt!«
    »Und wennschon!«, meinte Alistair. »Wir haben doch unsere Kreu ze und die Knoblauchkränze. Was kann uns Dracula also noch anha ben?«
    »Dracula kann sich nicht nur in eine Fledermaus verwandeln, son dern hat auch Macht über gewisse Tiere, insbesondere über die Wöl fe, die in dieser Region sehr zahlreich sind!«, erklärte van Helsing hastig und lieferte ihnen damit auch die Erklärung, wieso der schwarz gekleidete Kutscher bei ihrer mitternächtlichen Fahrt zur Burg die Wölfe auf der Waldlichtung so mühelos hatte davonjagen können. Denn der Kutscher war niemand anders als Dracula selbst gewesen! »Er wird sie zu Hilfe rufen und ganze Rudel auf uns hetzen.
    Sie werden die Pferde reißen und das ist dann der Anfang von unse rem Ende.«
    Byron sank das Herz, als er begriff, dass die tödliche Gefahr noch längst nicht von ihnen abgewendet war und das schaurige Werk voll zogen werden musste, von dem van Helsing ihnen erzählt hatte. »Das heißt also, wir müssen das Grab des Vampirs finden und ihn pfählen!«
    Van Helsing nickte. »So ist es. Möglicherweise auch den Begleiter dieses Mortimer Pembroke und die beiden Amerikanerinnen, ob wohl diesen mit einer Hostie zweifellos schnell der Garaus gemacht werden kann, da ihre Verwandlung noch

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