Die Judas-Papiere
nicht weit genug fortge schritten ist. Aber erst dann wird Ihre Flucht aus den Karpaten gelin gen. Ich könnte natürlich auch allein versuchen, seine Gruft zu fin den und ihn noch rechtzeitig vor Anbeginn der Nacht zu töten. Aber ich kenne mich mit den Räumlichkeiten unter seinem Turm nicht aus. Die Suche könnte daher zu viel Zeit kosten. Aber wenn wir ge meinsam nach ihm suchen, stehen die Chancen erheblich besser, dass Dracula und seine Abhängigen nie wieder aus ihren Särgen stei gen und als Vampire ihr grausames Unwesen treiben werden!«
»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Horatio ungeduldig, wäh rend Harriet sich mittlerweile schon die Schuhe zuschnürte. »Ver spielen wir nicht die einmalige Chance, zu der Harriet uns verholfen hat, und bringen wir, was getan werden muss, so schnell wie mög lich hinter uns!«
»Ja, uns bleibt wohl nichts anderes übrig«, pflichtete Byron ihm bei. Unverzüglich nahmen sie ihre Sachen an sich und ließen sich von Harriet in den Trakt des Wohnturms führen, der ihnen versperrt ge wesen war und unter dem sich irgendwo die Gruft befinden musste, in der Dracula die Tagesstunden verbrachte. Auf dem Weg dorthin begegnete ihnen der Bucklige, der kurz verwundert stehen blieb und dann im Fegen der langen Gänge fortfuhr, als kümmerte ihn ihr über
raschendes Auftauchen in diesem Teil der Burg nicht. Vermutlich hatte er es sich schon vor langer Zeit abgewöhnt, sich eigene Gedan ken über das zu machen, was auf der Burg geschah.
Die Kellerräume erwiesen sich als weitläufiger und verzweigter, als sie vermutet hatten. Alle Zugänge verfügten über schwere Türen, in denen jedoch glücklicherweise überall schwere Eisenschlüssel steck ten. Van Helsings Sorge, allein auf sich gestellt womöglich nicht rechtzeitig genug Draculas Versteck zu finden, hatte ihre Berechti gung gehabt. So jedoch konnten sie sich aufteilen und an mehreren Orten gleichzeitig nach dem Zugang zur Gruft suchen.
Es war Horatio, der jenseits eines abknickenden Ganges, der an ei ner tiefen und mit Wasser gefüllten Zisterne vorbeiführte, auf die Treppe und damit auf den Zugang stieß.
»Hierher, Leute!«, brüllte er und schwenkte seine Leuchte. »Hier geht es hinunter in eine Gruft!«
Seine Gefährten eilten zusammen und hasteten die steinerne Trep pe hinunter. Augenblicke später hob der Lichtschein ihrer Leuchten ein großes, achteckiges Gewölbe aus der schauderhaft kalten Fins ternis hervor.
Gleich rechts vom Treppenabsatz türmte sich ein gut brusthoher Berg aus dunkler, schwerer Erde auf. Zwei Schaufeln und eine klobi ge Holzkiepe mit breiten Tragegurten lehnten an der Wand. Etwas seitlich von dem aufgeschütteten Erdreich reihte sich ein Dutzend Särge aus Eichenholz nebeneinander. Auf einem der Särge lag neben einer Holzschale mit langen, dicken Eisennägeln ein Hammer. Ein anderer Sarg war abgedeckt und halb mit Erde gefüllt.
»Ja, wir haben den richtigen Ort gefunden!«, stieß van Helsing her vor. »Hier haust er! Und offenbar ist er schon dabei, seine Abreise nach England vorzubereiten. Diese Särge voller Heimaterde sollen wohl mit ihm nach England verschifft werden!«
Es gab noch drei weitere Holzsärge, die in der hintersten Ecke auf Balken ruhten, sowie sechs Sarkophage in diesem Gewölbe. Die Steinkästen standen längs der Seitenwände und waren viele Jahr hunderte alt, wie ihr rissiger und brüchiger Stein verriet. Die in die Deckplatten gemeißelten lateinischen Jahreszahlen und Inschriften enthielten jedoch weder das Tatzenkreuz der Templer noch einen anders gearteten Hinweis auf das Grab eines Tempelritters. Doch auf der Platte des Sarkophages, der genau gegenüber der drei Holzsärge stand, fand sich der Name des Vampirs.
Dracula
Das war alles. Nur dieser eine furchterregende Name. Kein Ge burtsjahr und kein Sterbedatum.
»Dem Allmächtigen sei Dank!«, rief van Helsing erlöst, stellte seine schwere Tasche ab und holte das Stemmeisen hervor. »Erst diesen hier! In den drei Holzsärgen liegen bestimmt der Begleiter Pembrokes und die beiden Frauen. Aber bei denen eilt es nicht gar so sehr!«
Die Deckplatte ließ sich verhältnismäßig leicht vom Kasten schie ben, da sowohl aus dem steinernen Grab als auch aus der Platte an den Ecken einige Stücke herausgebrochen waren.
Und dann fiel das Licht ihrer Leuchten auf die Gestalt des Un-To ten, der weder ein Gewissen noch eine Seele besaß und zu keiner guten menschlichen Herzensregung fähig war.
Wie das blutleere, aus
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