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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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lauten Stimmen der Offiziere machten es jedoch unmöglich.
    Aber das beeinträchtigte seine Hochstimmung nicht. Er wusste jetzt, wie er es anstellen musste, um die Judas-Papyri in seine Gewalt zu bekommen!

Achter Teil
    Die dunkle Kammer

1
    M it mäßiger Geschwindigkeit ratterte der Nachtzug über die Schmalspurgleise gen Assuan. Zu ihrer Linken strömten die schlammdunklen Fluten des Nil dem weit gefächerten Delta seiner Mündung entgegen. Lautlos zogen canjas, flache Fellachenboote, mit verschlissenem, häufig geflicktem Segel am Querbaum des leicht gebogenen Masts ihre Bahn, schnell passiert von einem zweistöckigen Raddampfer, aus dessen Radkästen heckwärts das hochgespülte Wasser schäumend zurück in den Fluss rauschte. Auf einer Sandbank vor dem Schilfgürtel des Ufers zwei Krokodile, die ihre gepanzerten Leiber der letzten Wärme des Tages aussetzten. In der Ferne vier, fünf Geier, die über einem Stück Aas in der Luft kreisten.
    Auf dem grünen Uferland wechselten sich zwischen den weiten Feldern kleine Ansiedlungen von Hütten aus Nilschlamm mit Feigen baumplantagen und Palmenhainen ab, deren Stämme hoch in den Himmel stiegen und die an ihrer Spitze stolze Kronen aus Palmwe deln trugen. An den primitiven saqias , den Schöpfrädern, gingen Esel stumpfsinnig im Kreis, während das braune Wasser aus den Holztrö gen der schweren Räder floss und sich in die Bewässerungsgräben ergoss.
    Auf der rechten Seite der Fahrstrecke drängte hinter dem schmalen Streifen fruchtbaren Landes die Wüste heran. Der Sand, vom Abendlicht vergoldet, schimmerte in trügerisch verheißungsvollen Farbnuancen. Dünen ragten mit bizarren Formen wie aufgepeitschte und plötzlich erstarrte Wogen aus dem Sandmeer empor. Der Himmel hatte alle Farben, vom leuchtendsten Purpur bis zu einem blassen Rosarot. Man meinte, gleich könnte dort am Horizont eine Karawane hochbeiniger Kamele auftauchen, die mit langsamen, majestätischen Schritten über die Dünen zogen, begleitet von Wüstenbeduinen in ihren weißen Burnussen und mit dunklen, wettergegerbten Gesichtern.
    Das letzte Licht verglomm über der Wüste, noch bevor sich der Zug auf einer Höhe mit der Oase el-Fayum befand. Unter stark rußi gen Dampfwolken, die fast so schwarz waren wie die nun einbre chende Nacht, ging es weiter nilaufwärts.
    Im Speisewagen nahmen Byron und seine Gefährten ein leichtes Abendessen zu sich, dessen Qualität so bescheiden war wie der Rest des Zuges, obwohl dieser einzig Touristen vorbehalten war. Keinen von ihnen drängte es danach herauszufinden, wie es in den einhei mischen Zügen aussah.
    Sie begaben sich schon früh in ihr Abteil, weil der Barwagen hoff nungslos mit zwei Reisegruppen überfüllt war und sie die letzte Nacht vor ihrem Ziel so schnell wie möglich hinter sich bringen woll ten.
    Der Schlaf wollte sich jedoch bei keinem von ihnen einstellen. Was nur zu einem Teil an den schmalen und wenig bequemen Betten lag. Reguläre Schlafabteile hatte Byron für sie nicht reservieren können. Deshalb mussten sie sich zu viert ein Abteil teilen, dessen Betten mehr den Charakter von schmalen, herunterklappbaren Pritschen besaßen.
    Natürlich drehte sich ihr Gespräch um die Klosterruine St. Simeon, in der sie morgen nach einer wochenlangen und gefahrvollen Reise durch halb Europa und einen Zipfel des Orients endlich stehen würden. Sie sorgten sich, das Versteck der Judas-Papyri womöglich doch nicht finden zu können, weil sie noch immer nicht die Zeichnung auf der letzten Notizbuchseite entschlüsselt hatten.
    Irgendwann kam ihr Gespräch wieder einmal auf die Person Judas Iskariot und auf die Frage, ob die Papyri wohl tatsächlich aus dem ersten Jahrhundert und aus der Feder des Jesus-Jüngers stammten.
    »Wenn man es recht betrachtet, ist Judas die schillerndste und in teressanteste Person des ganzen Neuen Testaments, Jesus einmal ausgenommen«, sagte Horatio. »Vielleicht ist er sogar bedeutsamer und menschlicher als Petrus, auf den Jesus seine Kirche gegründet hat.«
    »Das mit der Kirche darf man nicht unbedingt wörtlich nehmen, denn Jesus war nicht nur Jude wie alle anderen in seinem Kreis, son dern er verstand sich auch als Jude«, sagte Byron. »Nur hatte er eine radikal abweichende Vorstellung von dem, was es heißt, die jüdische Schrift und ihre Gesetze zu erfüllen. Er hat sie von allem traditionel len Formalismus befreit und sie zu einer glasklaren revolutionären Botschaft geschliffen. An die Gründung einer Kirche, die

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