Die Judas-Papiere
entschlüsseln. Harriet übernahm es, Horatio die einzelnen Morsezeichen aus der Zeichnung vorzule sen, während dieser den entsprechenden Buchstaben notierte. »Lang, lang, kurz . . . kurz, lang, kurz... lang, lang, lang . . . lang . . . lang . . . kurz.«
»Damit hätten wir schon mal das Wort ›Grotte‹«, teilte Horatio ih nen mit. »Weiter, Harriet!«
Wenige Minuten später lag Mortimers letzte Botschaft und damit die genaue Ortsangabe des Verstecks vor. Sie lautete:
Alistair grinste vor Freude über das ganze Gesicht. »Freunde, wir ha ben es geschafft! Das Versteck ist gefunden! Jetzt brauchen wir nur noch zuzugreifen, das Judas-Evangelium nach England zu bringen und auf Pembroke Manor unser restliches Geld einzukassieren!«
»Aber schön alles der Reihe nach«, sagte Byron, der jedoch nicht weniger begeistert war. »Erst mal müssen wir uns heute Nacht ins Kloster schleichen und die Papyri aus dem Versteck holen.«
»Ich sage Hasan Bescheid, dass er sich bereithalten und wenn mög lich für uns eine Leiter besorgen soll«, bot Horatio sich an. »Denn wer weiß, was Mortimer unter einer ›falschen Zisterne‹ verstanden hat. Wann wollen wir los?«
»Um Mitternacht!«, sagten Byron und Harriet wie aus einem Mund.
3
O bwohl nicht eine Wolke am Nachthimmel stand, war die Sicht aus gesprochen schlecht. Wie ein feiner Schleier hing der Sand in der Luft, den der Khamsin aus der Wüste herantrug. Der heiße Wind hatte in den vergangenen Stunden spürbar an Kraft zugenommen, aber zu einem wahrhaften Sandsturm hatte er sich gottlob nicht entwi ckelt. Der Sand war unangenehm, weil er in Mund und Nase und unter die Kleidung drang.
Aber diese Unannehmlichkeiten wollten sie gern in Kauf nehmen. Zu lange hatten sie dieser Stunde entgegengefiebert, um sich jetzt noch aufhalten zu lassen. Im Hotel hatten sie nach einem frühen Abendessen versucht, einige Stunden zu schlafen. Aber ihre Anspan nung hatte dem Schlaf keine Chance gelassen. Mehr als ein gelegent liches Dösen war keinem von ihnen gelungen.
Hasan hatte weder Fragen gestellt, was sie mitten in der Nacht mit einer Leiter im Kloster wollten, noch Einwände dagegen erhoben, diese für sie zu besorgen und sie alle bei dieser schlechten Sicht über den Fluss zu bringen. Das Goldstück, das Byron ihm in die Hand ge drückt hatte, hätte ihn sogar noch zu viel kühneren Unternehmen verlocken können. Er hatte sich zum Schutz vor den Sandwolken ein Tuch vor das Gesicht gebunden und lenkte die Canja mit sicherem Gespür für die Untiefen des Nil zur Anlegestelle am Fuß des Bergein schnitts.
»Ich hier warten, Efendi!«, versicherte er, als sie an Land gingen und er das Boot am Steg vertäute.
»Es wird aber etwas dauern, vermutlich einige Stunden«, sagte By ron. »Wir müssen ja jetzt zu Fuß hinauf und auch den ganzen Weg wieder zurück.«
»Ich warten, Allah mein Zeuge! Und wenn bis neuer Morgen!«, ver sprach Hasan, zog am Heck ein Stück altes Segeltuch hervor und roll te sich auf dem flachen Boden seiner Canja darin ein.
Alistair legte sich den Sack mit ihrer bescheidenen Grabungsausrüstung über die Schulter, während Byron sich die Leiter auflud, die Hasan ihnen besorgt hatte. Horatio nahm die Petroleumlampe an sich, deren Brennstoffbehälter sie bis zum Verschluss gefüllt hatten. Sowie sie außer Sicht des Ufers waren, steckte Horatio den Docht in Brand, damit ihnen die Lampe auf dem Weg leuchtete und sie im Dunkel der Nacht nicht über herumliegendes Geröll stolperten.
Bei den treibenden Staubwolken, die manchmal wie Gespenster aus feinstem Sand um sie herumtanzten, wurde der Aufstieg in der Schlucht noch beschwerlicher, als er sonst schon gewesen wäre. Aber sie kannten den Weg, den sie nehmen mussten, und brauchten nicht befürchten, in die Irre zu laufen.
Sie gelangten an die Abzweigung, wo sich der Pfad hinauf zur An höhe und zur steinigen Ebene mit der Klosteranlage wand.
Schemenhaft zeichnete sich endlich St. Simeon mit seinen hohen Mauern und den Turmstümpfen vor ihnen in der sandgetränkten Dunkelheit ab. Ihre Schritte wurden nun schneller und schließlich traten sie durch das Tor in der Ostmauer.
»Jetzt heißt es, sich zu orientieren und diese Grotte zu finden, die sich irgendwo im Westen der Anlage bei der Kirchenruine befinden soll«, sagte Alistair. »Obwohl die Bezeichnung ›Grotte‹ wohl schlecht zu einem Kloster mitten in der Wüste passt!«
»Mortimers Ausdrucksweise war in seinen Rätselbotschaften im mer reichlich
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