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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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von ihm schwängern ließ und dass Harriet Chamberlain, die sündhafte Frucht dieser skandalösen Liaison, in der Welt der Vagabunden und Zirkusleute aufwuchs, selbst diesen Weg einschlug und seitdem das unstete Leben als Sensationsdarstellerin und Akrobatin führt. Ein Leben, wie ich leider noch anmerken muss, das Miss Cham berlain um ein Haar durch eine blutige Schandtat, die jemandem das Leben gekostet hat, auf immer verpfuscht hätte!«
    Harriet Chamberlain presste die Lippen zu einem dünnen, harten Strich zusammen. Und unter den forschenden Blicken der drei Män ner, die in Gedanken natürlich sofort über die Art dieser blutigen Schandtat rätselten, schoss ihr das Blut ins Gesicht.
    »Nicht verschwiegen werden soll jedoch auch, dass Harriet Cham berlain sich in ihrem Metier einen beachtlichen Ruf erworben hat und schon an vielen Orten, die in der Welt des Vaudeville, des Varie té und des Zirkus einen großen Namen haben, aufgetreten ist – und zwar auch auf dem Kontinent, wo sie einige Jahre auf Tournee gewe sen ist«, ergänzte Lord Pembroke. »Zudem ist sie nicht nur eine über aus risikofreudige Akrobatin, sondern auch eine exzellente Reiterin und sie versteht sich ausgezeichnet im Umgang mit Waffen aller Art. Woran es ihr dagegen sehr mangelt, ist weibliche Schicklichkeit und der gebotene Respekt vor den ungeschriebenen, aber dennoch eher nen Konventionen unser Gesellschaft.«
    »Kommen Sie mir nicht mit diesem Altherrengeschwafel, das doch nur der Unterdrückung der Frau dient! Und nichts ist ehern und auf ewig in Stahl gegossen, schon gar nicht Ihre sogenannten Konven tionen!«, fauchte sie. »Jedenfalls lasse ich mir nichts vorschreiben! Ich tue mit meinem Leben, was und wie ich es für richtig halte!« Da mit wandte sie sich unvermittelt Alistair McLean zu, der gerade eine Zigarette aus seiner Packung geschnippt hatte, und fuhr ihn mit bar schen Worten an: »Was ist? Wollen Sie mir nicht auch eine Zigarette anbieten?«
    Dieser machte ein verblüfftes Gesicht. »Oh, Sie rauchen?«, fragte er überrascht.
    »Ja, gelegentlich«, sagte sie, zog dabei eine graue Zigarettenspitze aus ihrer Jackentasche hervor und fragte bissig zurück: »Oder glau ben Sie vielleicht, das Kunststück, blauen Dunst auszustoßen, kriegen nur Männer fertig?«
    Alistair McLean lachte belustigt auf und schenkte ihr ein breites Grinsen. »Ich bin sicher, dass Sie noch ganz andere Kunststücke fer tigbringen, Miss Chamberlain«, sagte er und hielt ihr seine Packung hin, damit sie sich bedienen konnte.
    »Wenn das mit diesen widerborstigen jungen Frauen so weitergeht, werden sie sich eines Tages sogar noch zu der Forderung versteigen, das Wahlrecht erhalten und über unsere Regierung und Gesetzge bung mitentscheiden zu wollen!«, murmelte Horatio Slade missfällig.
    »Und dieser Tag ist nicht mehr fern, darauf können Sie Gift neh men, Mister Slade!«, erwiderte Harriet Chamberlain und ließ sich von Alistair McLean Feuer geben.
    Horatio Slade verdrehte nur die Augen.
    »Nun, da gerade Ihr Name gefallen ist, Mister Slade, will ich mit Ih rer Person fortfahren«, sagte Lord Pembroke. »Der recht bewegte Le bensweg von Mister Horatio Slade könnte vermutlich einen ganzen Abend füllen, so wie er schon umfangreiche Gerichtsakten füllt. Aber da es heute noch einiges andere zu bereden gibt, will ich mich auch bei ihm kurzfassen. Deshalb sei hier nur kurz erwähnt, dass er von seinen einunddreißig Lebensjahren ein knappes Drittel in Gefängnis zellen verbracht hat. Wobei die Schlösser dieser Strafanstalten sei nen außerordentlichen Fähigkeiten als Ausbrecher und Meister aller selbst gebastelten Nachschlüssel jedoch oft genug nicht gewachsen gewesen sind.«
    Horatio Slade verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebis sen. »Danke für das dornige Blumengebinde, Eure Lordschaft!«
    »Schau an, wir haben einen Knastbruder in unserer Mitte!«, entfuhr es Alistair McLean. Jedoch klang es nicht schockiert, sondern eher belustigt und interessiert.
    Byron dagegen fand die Nachricht alles andere als amüsant, son dern als in höchstem Maße beunruhigend. Nicht aus moralischer Ab lehnung, sondern weil es für ihn mit jedem Augenblick offensichtli cher wurde, dass Lord Pembroke sie vier als eine zusammengehörige Gruppe betrachtete – und zwar über diesen Abend hinaus!
    »Mister Horatio Slade ist jedoch nicht nur Meister im unerlaubten Öffnen fremder Schlösser, sondern die Tragik seines Lebens dürfte darin bestehen, dass an

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