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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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ihm vermutlich ein großer Künstler der Lein wand verloren gegangen ist«, fuhr Lord Pembroke nun fort. »Als Ko pist berühmter Gemälde und insbesondere russischer und griechi scher Ikonen gehört er nämlich zu den besten seiner Zunft. Und zweifellos könnte er ein ordentliches Auskommen haben und sein Leben fern von Zellengittern genießen, wenn er sich nur darauf be schränken würde, seine Kopien als solche zu verkaufen. Aber unser Freund hier zieht es vor, altmeisterliche Gemälde und Ikonen zu ko pieren, die in den Herrenhäusern des Adels und reicher Fabrikanten hängen. Und dann steigt er nachts in diese Häuser ein, ersetzt das Originial durch die Kopie und verkauft das gestohlene Kunstwerk an einen Sammler aus dem Ausland. Ein Verfahren, das jedoch nicht im mer unbemerkt bleibt – schon gar nicht, wenn man sich dabei auf fri scher Tat ertappen lässt!«
    »Originale heimlich durch Kopien austauschen? Das ist ja eine prächtige Idee! Dann sind Sie ja so etwas wie der Robin Hood der Kunst, Mister Slade!«, bemerkte Harriet Chamberlain spöttisch. »Dass Sie den Adel und die Fabrikanten bestehlen, halte ich für ein Quentchen ausgleichender Gerechtigkeit. Denn zu ihrem Reichtum sind diese scheinbar ehrbaren Herrschaften doch fast ausschließlich durch Betrug, Krieg oder Ausbeutung der einfachen Leute gekom men!«
    Horatio Slade schmunzelte und deutete eine Verbeugung an. »Miss Chamberlain, vielen Dank für Ihr Kompliment! Ich sehe Sie nun in einem erheblich sanfteren, vorteilhafteren Licht, als ich es eben noch für möglich gehalten hätte!«
    »So? Na, dann bin ich ja unendlich erleichtert, Mister Slade!«, gab sie spitz zurück.
    »Kommen wir jetzt zu Mister Alistair McLean«, sagte Lord Pem broke und wandte sich damit dem Nächsten in ihrer Runde zu. »Allzu Bedeutsames ist zu diesem arglos aussehenden Jungengesicht nicht zu sagen, eigentlich nur, dass Mister McLean seine Zeit am liebsten am Spieltisch verbringt. Er hat schon im Alter von zwölf Jahren, als er endgültig der strengen Zucht der Waisenhäuser entkam, die Karrie re eines Berufsspielers eingeschlagen. Und in den dreizehn Jahren, die seitdem vergangen sind, hat er es darin zu einer gewissen Meis terschaft gebracht.«
    Sichtlich verblüfft sahen Byron wie auch Horatio Slade und Harriet Chamberlain zu dem respektlosen Lockenkopf hinüber, den keiner von ihnen für älter als höchstens achtzehn gehalten hatte.
    »Wie bitte? Dieser . . . vorwitzige Grünschnabel soll fünfundzwan zig und damit nur zwei Jahre jünger sein als ich?«, stieß Byron un gläubig hervor.
    Lord Pembroke nickte. »So ist es, Mister Bourke. Und sollten Sie ei nes Tages das zweifelhafte Vergnügen haben, mit ihm an einem Kar tentisch zu sitzen und um Geld zu spielen, werden Sie schnell mer ken, dass er alles andere als grün hinter den Ohren ist. Er geht erheb lich geschickter mit Karten um, als das Gesetz es erlaubt und es Mit spielern lieb sein kann.«
    »Er ist also ein Kartentrickser, ein Zinker und Falschspieler«, folger te Horatio Slade.
    »Falschspieler ist ein sehr hartes Wort, Mister Slade. Ich ziehe es vor, wie mein Lehrmeister Fagin von kreativem Kartenspiel zu spre chen«, erwiderte Alistair McLean ohne jedes Anzeichen von Verlegenheit. »So, und damit ist über meine Person ja alles gesagt und Sie können nun zu Mister Bourke kommen, Lord Pembroke.«
    »Das hatte ich auch vor.«
    »Obwohl sich mein Interesse an seiner Person doch sehr in Gren zen hält«, fügte Alistair McLean noch hinzu. »Denn wie mein Gefühl mir sagt, haben wir es bei Mister Bourke mit einem Fall von ›gelehr ter Oberlehrer ohne Humor‹ zu tun!«
    »Was ich aus dem Mund eines rüden Falschspielers als Kompliment nehme!«, antwortete Byron kühl und wie aus der Pistole geschossen.
    »Die Bezeichnung ›gelehrt‹ trifft in der Tat auf Mister Byron Bourke zu«, bestätigte Lord Pembroke. »Seine rasche Auffassungsgabe und sein scharfer Intellekt haben ihn dazu befähigt, schon im Alter von gerade fünfzehn Jahren in Oxford zum Studium der Mathematik und Physik zugelassen zu werden. Ein Studium, das er nicht nur in unge wöhnlich kurzer Zeit mit summa cum laude abgeschlossen hat, son dern das er auch noch durch die Studienfächer der Theologie, der Philosophie sowie mehrerer Fremdsprachen ergänzt hat.«
    »Wird an dieser Stelle Ihres Vortrags ein Kniefall erwartet, Eure Lordschaft?«, erkundigte sich Harriet Chamberlain spöttisch.
    Alistair McLean zuckte unbeeindruckt die Achseln.

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