Die Judas-Papiere
»Wie ich es ge sagt habe: ein Langweiler und Besserwisser.«
Lord Pembroke beachtete die Einwürfe nicht, sondern fuhr fort: »Dass er als einer der jüngsten Privatgelehrten in die Royal Society of Science aufgenommen wurde sowie in den Vorstand des renommier ten Athenaeum Club, dem nur namhafte und daher zumeist erheblich ältere Gelehrte angehören, soll als knappe Ergänzung seiner Meriten genügen.« Er machte eine kurze Pause, bevor er hinzufügte: »Wofür man ihm aber gewiss niemals einen Lorbeerkranz flechten wird, das ist sein leichtsinniger, ja naiver Umgang mit seinen Finanzen. Was sein Vater als geschickter Ingenieur und Baumeister von Leuchttürmen in seinem Leben an beachtlichem Vermögen zusammengetragen und klug vermehrt hat, dieses Erbe hat Mister Bourke mit einigen wenigen Federstrichen an einem einzigen Tag verspielt!«
»Eine Dummheit, zu der mich unser langjähriger und bislang stets loyaler Anwalt auf hinterhältige Weise verführt hat!«, stieß Byron zornig hervor. »Und bestimmt tat er dies nicht aus eigenen Stücken! Ich bin mir ganz sicher, dass es auf Ihre Veranlassung hin geschehen ist! Sie haben ihn bestochen, damit er mich zum Kauf dieser wertlo sen Minenbeteiligung beschwatzt!«
»Eine Theorie, die gewiss einiges für sich hat, die Sie aber niemals würden beweisen können, Mister Bourke. Weshalb wir auch nicht weiter darüber reden wollen«, erwiderte Lord Pembroke mit einem Lächeln.
In diesem Moment tauchte hinter ihm im Eingang des Salons der Butler auf, machte sich durch ein dezentes Hüsteln bemerkbar und meldete dann: »Das Dinner kann serviert werden, Mylord!«
»Das trifft sich sehr gut, Trevor«, sagte Lord Pembroke zufrieden und fuhr an seine vier Gäste gewandt fort: »Denn nachdem wir hiermit die Präliminarien hinter uns gebracht haben und nun jeder von Ihnen weiß, mit wem er es fortan zu tun hat, können wir zur Hauptsache kommen – nämlich zu der Aufgabe, für die ich Sie ausgewählt habe und die Sie gemeinsam für mich übernehmen werden, sofern Ihnen an meinem weiteren Wohlwollen gelegen ist, wovon jedoch auszugehen ist.« Wieder lächelte er, doch es war das kalte Lächeln eines Mannes, der sich seiner Macht und Überlegenheit bewusst war. »Es ist übrigens eine Aufgabe, die einige Reisen erforderlich machen wird.«
Ein verdutzter Ausdruck traf auf Alistair McLeans jungenhaftes Gesicht. »Also, ich weiß nicht, ob mir das schmeckt!«, maulte er. »In Ihrer Einladung war von einem lukrativen Geschäft die Rede, bei dem mei ne besonderen Fähigkeiten als Berufsspieler gefragt sein würden! Ich bin daher von einer hochklassigen Zockerrunde hier bei Ihnen auf Pembroke Manor ausgegangen! Und nun erzählen Sie uns, dass Sie uns für eine Aufgabe ausgewählt haben, die wir vier gemeinsam erledigen sollen und für die auch noch einige Reisen erforderlich sind.«
Lord Pembroke nickte ungerührt. »So ist es! Und es wird für jeden von Ihnen außerordentlich lukrativ sein, sich dieser Aufgabe mit ganzer Hingabe zu widmen!« Er klatschte in die Hände, streckte sie ihnen dann wie ein Priester, der seiner Gemeinde den Segen erteilt, entgegen und verkündete mit einigem Pathos: »Miss Chamberlain . . . Gentlemen, Sie haben die große Ehre, sich auf die Suche nach etwas sensationell Wertvollem zu begeben, das darauf wartet, endlich wie dergefunden und der Welt zugänglich gemacht zu werden. Und wenn dies geschehen ist, wird die Welt nicht mehr so sein, wie sie vorher war!«
»Und was genau ist dieses sensationell Wertvolle, das wir für Sie finden sollen?«, wollte Horatio Slade mürrisch wissen und kam mit seiner Frage Byron zuvor.
Lord Pembroke antwortete unumwunden: »Das Evangelium des Ju das!«
5
B yron hatte gerade an seiner Zigarre gezogen, als Arthur Pembroke diese vier elektrisierenden Worte aussprach. Unwillkürlich atmete er den Rauch, den er sonst nie inhalierte, tief ein und musste darauf hin so heftig husten, dass ihm die Tränen in die Augen schossen.
»Sie meinen diesen Jesus-Verräter Judas Iskariot?«, stieß Horatio Slade ungläubig hervor.
»In der Tat, von dem und keinem anderen spreche ich«, bekräftigte Lord Pembroke, während Trevor Seymour die ledergepolsterten Flü geltüren zum angrenzenden Esszimmer aufstieß.
Alistair McLean lachte. »Judas-Evangelium? Das soll wohl ein Scherz sein, oder? So etwas hat es nie gegeben! Andernfalls hätte man schon längst davon gehört!«
»Ich schlage vor, wir setzen unser Gespräch nicht hier,
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