Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
Judas Iskariot nicht so leichtfertig von einem Evangelium sprechen!«, rügte Byron. »Das Wort ›Evangelium‹ kommt aus dem Griechischen. Dort heißt es euangélion und bedeutet so viel wie ›Frohe Botschaft‹. Und da Irenäus diese Schrift eindeutig als ketzerisch verworfen hat, kann man sie nicht wie die Verkündigungen der vier kanonischen Evange listen Matthäus, Markus, Lukas und Johannes als Evangelium bezeichnen!«
    »Wieso nicht?«, fragte Lord Pembroke kühl. »Es kommt doch wohl ganz darauf an, wie man es sieht. Des einen Ketzerei kann des ande ren Glaubensbekenntnis sein, Mister Bourke!«
    »Fürwahr!«, stimmte Alistair McLean ihm zu. »Wenn man sich nichts aus dem Christentum macht und den Glauben an Gott für Ho kuspokus hält, kann es sehr wohl ein Evangelium sein. Der gute Nietzsche würde dazu sagen: Zum Christentum wird man nicht geboren, man muss dazu nur krank genug sein. Oder dies: Man soll nicht in Kirchen gehen, wenn man reine Luft atmen will! Ich denke, da ist was dran!« Und mit einem Grinsen hob er sein Weinglas und prostete Byron zu.
    »Es zeugt nicht gerade von großer Originalität, sich seine Argu mente aus fremder Hand zu holen«, erwiderte Byron. »Aber da Sie anscheinend immer eine wohlfeile Sentenz dieses deutschen Philo sophen parat haben, werden Sie ja wohl nicht nur die Äußerungen kennen, mit denen er auf das Christentum im Speziellen und den Gottesglauben im Allgemeinen eindrischt. Vielleicht ist Ihnen auch sein trefflicher Ausspruch bekannt: Der Fanatismus ist die einzige ›Wil lensstärke‹, zu der auch die Schwachen gebracht werden können!«
    »Das ist ein Punkt für Mister Bourke. Damit hätten wir wohl Gleich stand«, kommentierte Harriet Chamberlain den Wortwechsel.
    Jetzt meldete sich auch Horatio Slade zu Wort: »Ob es nun ein Evangelium oder nur eine Schrift ist, kümmert mich im Augenblick so wenig wie das, woran hier einer glaubt oder nicht glaubt! Und nach großer Tafelei ist mir auch nicht zumute!« Er schob seinen Teller mit der Suppe, von der er nur zwei, drei Löffel gekostet hatte, mit einer abrupten Bewegung von sich. Es hätte nicht viel gefehlt und die Suppe wäre über den Rand geschwappt. »Ich habe ein paar ganz konkrete Fragen, auf die ich genauso konkrete Antworten erwarte, Lord Pembroke! Und zwar will ich endlich wissen, was es mit dieser reichlich verrückt klingenden Aufgabe genau auf sich hat, wo und wie wir diese Judas-Schrift suchen sollen, warum die Wahl ausgerechnet auf uns gefallen ist – und vor allem, was bei dieser Sache für uns herausspringt!«
    »Sie sprechen mir aus der Seele, Mister Slade!«, rief Alistair McLean begeistert auf und hatte augenblicklich seinen bissigen Wortwechsel mit Byron vergessen. »Kommen wir endlich zu den entscheidenden Punkten und lassen Sie hören, was dabei Ihr Einsatz ist, Lord Pembroke.«
    »Dieser Punkt ist schnell erledigt«, versicherte Arthur Pembroke. »Während ich Mister Bourke seine wertlose Minenbeteiligung zum damaligen Ausgabekurs abkaufe und ihn somit vor dem finanziellen Ruin bewahre . . .« Er machte eine kurze, kaum merkliche Pause und warf Byron dabei einen scharfen Blick zu, dessen Bedeutung dieser im nächsten Moment erkannte, als Arthur Pembroke fortfuhr: ». . . werden Mister McLean, Mister Slade und Miss Chamberlain für ihre Teilnahme jeweils 5 000 Pfund erhalten.«
    Alistair McLean gab vor Überraschung einen anerkennenden, wenngleich höchst rüden Pfiff von sich, auf den der Butler mit einer indignierten Miene reagierte. »5 000 Pfund? Heiliges Kanonenrohr, das nenne ich einen hübsch fetten Pot, für den man schon was auf sich nehmen kann! Also ich bin mit von der Partie!«
    »Mhm, klingt nicht schlecht.« Horatio Slade gab sich etwas zurück haltender. Doch das Aufblitzen in seinen Augen verriet, dass er von dem Angebot genauso begeistert war wie Alistair McLean.
    Harriet Chamberlain zuckte nur gleichmütig die Achseln. Dabei mussten 5 000 Pfund für eine Artistin wie sie ebenfalls eine enorme Summe sein, vermutlich die Gage von mindestens fünf, sechs Jahren.
    »Nun ja, eine verlockende Offerte«, murmelte Byron. Und er hoffte, dass keiner von den anderen fragte, was Pembroke ihm für seine wertlosen Papiere zu zahlen gedachte. Mit dem scharfen Blick in der winzigen Pause hatte der Lord ihn zweifellos ermahnt, auf keinen Fall damit herauszurücken, dass es bei ihm um die fünffache Summe ging! Was andererseits auch nur gerecht war, ja genau genommen ihn sogar

Weitere Kostenlose Bücher