Die Judas-Papiere
unsere Gegner gefähr lich sind und offensichtlich nicht vor brutaler Gewalt zurückschre cken!«
»Richtig, aber dank Bourkes Cleverness haben sie ihre Chance ver passt, uns zu überrumpeln«, sagte Alistair. »Sie wissen, dass wir ge warnt sind und nun auf der Hut sein werden. Ein zweites Mal werden sie uns nicht mehr überrumpeln!«
Byron räusperte sich. »Entschuldigen Sie, wenn ich kurz das Thema wechsle. Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, auf das ›Bourke‹ zu künftig zu verzichten und mich schlicht mit meinem Vornamen an zureden?«, fragte er Alistair etwas verlegen. Er hatte nicht verges sen, dass dieser Mann, den er für einen verantwortungslosen Glücks ritter gehalten hatte, ohne Zögern in den eisigen Abwasserfluss ge sprungen war und sein eigenes Leben riskiert hatte, um ihn, Byron Bourke, vor dem Ertrinken zu retten.
Alistair grinste ihn auf seine unbekümmerte Art an. »Byron, das ist ein Angebot, das ich nur annehmen kann, wenn auch Sie sich dazu überwinden können, das ›Mister McLean‹ fallen zu lassen und sich an ein schlichtes ›Alistair‹ zu gewöhnen«, erwiderte er, streckte ihm die Hand hin und zwinkerte ihm zu. »Na, wie sieht’s aus, alter Knabe?«
Byron lachte verlegen und ergriff die ihm dargebotene Hand. »Ich denke, das lässt sich machen . . . Alistair«, erwiderte er und tauschte mit ihm einen kräftigen Händedruck. »Denn wie Ihr verehrter Nietz sche sagen würde: Falsche Liebe zur Vergangenheit ist Raub an der Zu kunft! Und wir sollten uns die Zukunft nicht durch unsere ...äh... unsere gegenseitigen Vorurteile verbauen.«
Alistair lachte. »Gut gesprochen, Byron! So sehe ich es auch. Wir haben einen gefährlichen Gegner und der Wind, der uns ins Gesicht bläst, wird schärfer. Da gilt es, die Wagenburg auch im Innern ge schlossen zu halten.«
Harriet nickte. »Damit gibst du mir ein willkommenes Stichwort, Alistair«, sagte sie und blickte dann Byron an. »Es war sehr tapfer und selbstlos von Ihnen, mich mit Ihrem eigenen Körper vor den Schüssen zu schützen. Und ich würde mich freuen, wenn Sie fortan ›Harriet‹ zu mir sagen würden . . . und ich Sie mit ›Byron‹ ansprechen dürfte.« Und während sie das sagte, stieg eine leichte Röte in ihre Wangen.
»Oh, das werde ich gern tun! Mit Vergnügen, Miss Cham. . . ich mei ne, Harriet!«, versicherte Byron und spürte selbst ein Brennen in sei nem Gesicht.
Horatio, der seine Pfeife hervorgeholt hatte, hielt im Stopfen inne. »Da wir nun schon mal dabei sind zu begreifen, dass wir wohl nur dann das Versteck des Judas-Evangeliums finden, wenn wir zusam menhalten und uns in Gefahr ohne Vorbehalte aufeinander verlassen können«, sagte er auf seine trockene, direkte Art, »schlage ich als der Älteste in der Runde vor, dass wir uns alle von jetzt an nur noch mit Vornamen anreden und dass wir, wie Byron schon gesagt hat, alte Zwistigkeiten vergessen. Machen wir das Beste aus dem wundersa men Schicksal, das uns zusammengewürfelt hat! Und wer’s verges sen haben sollte: Mein Vorname ist Horatio!«
Sein Vorschlag fand bei den anderen uneingeschränkte Zustim mung. Und Byron war froh, dass sich ihr Gespräch nun wieder den Ereignissen der letzten Stunden zuwandte.
»Mit den Notizen in meinem Buch können der Mann mit der Schirmmütze und seine Komplizen nicht viel anfangen«, versicherte er ihnen. »Zwar kennen sie nun die Übersetzung der sechs hebräi schen Begriffe des Hexagons und die Zahlenreihen aus der Halle am Wehr, aber das bringt sie mit Sicherheit keinen Schritt weiter. Denn nur mit Mortimers Notizbuch lässt sich herausfinden, wo sich das Versteck befindet. Der Verlust ist also völlig unbedeutend für uns.«
»Das ist beruhigend«, sagte Horatio.
»Sie haben schon vorhin in der Kanalisation gesagt, dass Morti mers Menetekel leicht zu entschlüsseln sei, Byron«, erinnerte sich Alistair. »Was hat Sie auf den ersten Blick so sicher gemacht?«
Byron griff zu Mortimers Journal, in das sie auf einer der hinteren leeren Seiten die Zahlen ein zweites Mal aufgeschrieben hatten. »Weil sich in diesen dreiunddreißig zweistelligen Kombinationen ausschließlich Zahlen von 1 bis 5 finden«, erklärte er und schlug die Seite auf. Er deutete auf die vier Reihen notierter Zahlen.
»Deshalb halte ich es für höchstwahrscheinlich«, fuhr Byron fort, »dass es sich um simple bipartite Substitutionen handelt, also um ei ne Quinärchiffrierung, die schon Polybios gekannt haben soll.«
»Ach so, dieser
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