Die Judas-Papiere
Zahlensalat ist bloß eine simple bipartite Substitu tion oder Quinärchiffre, die dieser Polybios schon gekannt hat!«, frotzelte Alistair und blickte in die Runde. »Na, darauf hätten wir doch auch kommen können, oder?«
Byron lachte. »Polybios war ein griechischer Historiker, der gut hundert Jahre vor Christus gelebt hat und auch Zeuge beim endgülti gen Untergang Karthagos gewesen ist. Und das Wort ›quinär‹ kommt aus dem Lateinischen und weist hier auf ein 5x5-Quadrat als Code hin. Ich male zwei dieser gebräuchlichsten Quinär-Codes auf, dann werden Sie sofort selber sehen, dass Mortimer es uns relativ leicht gemacht hat, den ersten Hinweis auf das Versteck zu entschlüsseln.«
»Was nach unseren Erlebnissen in der Kanalisation wohl nur recht und billig ist«, brummte Horatio und bedeutete Alistair, auch ihm ein Glas Scotch einzuschenken. Harriet winkte auf Alistairs fragenden Blick hin jedoch ab. Ihr genügte zu dieser Nachtstunde der heiße Tee.
Byron griff zu einem Stift und schrieb das, was er eine Quinärchiff rierung genannt hatte, unter die vier Zahlenreihen, was folgendes Bild ergab:
»Die Buchstaben des Alphabets sind in solch einer Quinärchiffre entweder in waagerechter Folge angeordnet, wie es im linken Quad rat zu sehen ist, oder in senkrechter Folge wie im rechten 5x5-Quad rat. Dabei übernimmt das i die Funktion des j«, erläuterte Byron. »In den Gefängnissen des Zarenreichs wird dieser Code auch als Klopf-Code verwendet. Und weil er häufig von russischen Anarchisten be nutzt wird, nennt man ihn neuerdings auch ›Anarchistenchiffre‹.«
»Dann steht die erste Zahl, die 14, also entweder für das d oder für das q«, sagte Harriet.
Byron nickte. »Richtig. Natürlich kann man das Alphabet in solch ei nem Quadrat auch noch viel komplizierter anordnen, nämlich durch einandergewürfelt oder als 6x6-oder 7x7-Quadrat, wobei man dann noch Zahlen als Blender, also sozusagen als verwirrungstiftende Nie ten, einsetzt. Der französische Revolutionär Graf Mirabeau hat sich in seinen Briefen an die Marquise de Monnier eines 6x6-Quadrats als Code bedient, dabei aber die Zahlen auf der senkrechten und waage rechten Leiste durch Buchstaben ersetzt. Aber ich fürchte, das führt jetzt zu weit und interessiert wohl auch keinen von Ihnen.«
Alistair begnügte sich mit einem vielsagenden Grinsen über sein Scotchglas hinweg.
»Dann lassen Sie uns mal sehen, wie weit wir bei unseren Zahlen mit dieser simplen Quinärchiffre kommen, Byron«, sagte Horatio.
Mortimers Menetekel aus den dreiunddreißig zweistelligen Zah len war schnell entziffert. Sie ergaben den Satz:
»Na, viel ist bei dem Menetekel ja nicht herausgekommen«, sagte Alistair enttäuscht. »Denn dass die Papyri irgendwo ruhen, haben wir ja von Anfang an gewusst. Und Ruinen gibt es unzählige in allen Län dern der Erde. Ein bisschen genauer hätte es schon sein dürfen.«
»Wir sollten nicht undankbar sein. Bestimmt würden wir den zwei ten Hinweis nicht ohne diesen ersten verstehen«, sagte Harriet. »Wenn wir den zweiten Hinweis gefunden haben, sind wir bestimmt ein Stück klüger. Und das heißt, dass wir erst einmal herausfinden müssen, welches die nächste Station unserer Reise ist. Dazu müssen wir das zweite von Mortimers Rätseln im Notizbuch lösen, und zwar das mit diesen Zeichnungen von Labyrinthen, Burgen und zerklüfte ten Bergen.«
»Aber damit werde ich mich heute nicht mehr befassen«, sagte By ron. Es ging mittlerweile doch schon auf zwei Uhr zu.
»Das hat auch keiner von Ihnen erwartet, Byron«, sagte Harriet und ein dankbares Lächeln lag in ihrem Blick.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir diese Zeichnungen von den Labyrinthen mal näher ansehe, Byron?«, fragte Alistair. »Ich habe für solche Spielereien ein recht gutes Auge und früher selbst aus Spaß solche Irrgärten und Labyrinthe gezeichnet.«
»Nein, ganz und gar nicht«, versicherte Byron und überließ ihm nur zu bereitwillig das Journal. Er war froh, dass sich auch mal ein ande rer von ihnen den Kopf darüber zerbrach.
»Nach dem, was wir heute Nacht im Wiener Hades erlebt haben, wissen wir, dass die Suche nach dem Judas-Evangelium nicht so un gefährlich ist, wie wir alle geglaubt haben«, sagte Horatio. »Und dass wir für die 5 000 Pfund womöglich unser Leben aufs Spiel setzen müssen.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Horatio?«, fragte Alistair.
»Dass wir fortan Mortimers Notizbuch und auch uns selbst besser schützen sollten und
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